Seit 1901 in Texas Öl aus dem Boden schoss, ist es der Schmierstoff der Wirtschaft und die Basis des American Way of Life. Damit ist eine fatale Abhängigkeit entstanden. Mit immer riskanteren Methoden wird es gefördert, immer drastischer sind die Folgen für die Umwelt. Doch das Ende des Ölzeitalters in den USA zeichnet sich ab.
Allen Hamill will gerade mit einer Schaufel um das Bohrloch herum aufräumen, da ertönt ein Donnern wie aus einer abgefeuerten Kanone. Dann schießt eine Zunge blauen Gases aus dem Loch, bevor es gespenstisch ruhig wird. Neugierig macht Hamill ein paar Schritte zum Loch und schaut hinein, als es zu blubbern beginnt. Er sieht, wie zähflüssiges Öl langsam auf- und wieder absteigt, als würde das Gestein atmen. „Schließlich kam es mit einer solchen Kraft hoch, dass es direkt bis durch die Spitze des Bohrturms schoss“, erinnert sich Hamill Jahre später.
Ein Mitglied der Crew eilt in die texanische Kleinstadt Beaumont, um dem Eigentümer des Bohrturms Bescheid zu geben. Er findet Anthony Francis Lucas im Lebensmittelladen. Lucas vergisst seine Einkäufe, springt auf sein Pferd und reitet im wilden Galopp zum Hügel südlich der Stadt.
Dort schießt das Öl 30 Meter hoch aus dem Bohrloch und überzieht die Umgebung mit einem schmierigen schwarzen Film. Das Rauschen der Fontäne ist so laut, dass es zahlreiche Schaulustige anlockt. Die kommen an diesem 10. Januar 1901 aus dem Staunen nicht mehr heraus: Vor ihnen sprudelt die erste Ölquelle in Texas. Neun Tage braucht die Crew, um sie unter Kontrolle zu bringen. Mehr als 100.000 Barrel, fast 16 Millionen Liter, fließen aus der Quelle – pro Tag.
Öl beschert Amerika Reichtum und Macht – und es führt das Land in Kriege
„Spindletop“, benannt nach dem Hügel, auf dem die Bohrung stattfand, markiert den Beginn des Ölbooms in Texas und läutet das Ölzeitalter in den USA ein. Der neue Kraftstoff beschert dem Land Wohlstand, Fortschritt und Macht – aber er stürzt es auch in eine Abhängigkeit, der es bis heute nicht entkommen ist. Öl ist der Treibstoff seiner Wirtschaft; mehr noch: Es ist die Grundlage seines optimistischen, auf Wachstum ausgerichteten mobilen Lebensstils, des American Way of Life.
Doch das hat seinen Preis. Stockt der Ölnachschub, kommt Amerikas Motor ins Stottern. Und so entwickelt das Land seit 120 Jahren immer ausgefeiltere, immer waghalsigere Methoden, um seinen Durst nach Öl zu stillen. Die Folgen für Natur und Umwelt sind längst nicht mehr zu übersehen, aber auch Amerikas Außenpolitik wird vom Öl dominiert – bis hin zum Krieg.
Doch das ist nicht abzusehen, als Anthony Francis Lucas und sein Kompagnon Pattillo Higgins 1901 den Boden auf dem Spindletop Hill aufbohren. Higgins hat zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahrzehnt lang erfolglos nach Öl gesucht. Nach einem Besuch in Pennsylvania, wo schon seit 1859 eine kleine Ölquelle ausgebeutet wird, eignet sich Higgins im Selbststudium geologische Kenntnisse an. Als er hört, dass in der Gegend um Beaumont immer wieder schimmernde Öllachen auf Bächen gesichtet wurden, untersucht er die Landschaft genau. Dort hält man ihn für einen Spinner, weil er nach Schwefelgerüchen schnüffelt. Für Higgins jedoch sind sie der Beweis für seine These, dass unter dem Spindletop Hill ein Salzstock existiert, der eine Kammer mit Öl beherbergt.
Nach zahllosen erfolglosen Bohrversuchen schaltet Higgins, beinahe bankrott, eine Anzeige in der örtlichen Zeitung, die das Interesse des Ingenieurs Anthony Francis Lucas weckt. Lucas findet neue Investoren und beschafft frisches Kapital. Im Oktober 1900 beginnen die Bohrungen. Am 10. Januar 1901 treffen sie auf Öl.
Beaumont wird zur ersten Ölboomtown der Welt, die Bodenpreise explodieren
Ihr Fund weckt Begehrlichkeiten: Innerhalb von drei Monaten schwillt die Bevölkerung der Kleinstadt Beaumont von 10.000 auf 30.000 an. Das verschlafene Nest im Osten von Texas wird zur ersten Ölboomtown der Welt. Spekulanten treiben die Bodenpreise in ungeahnte Höhen. Ein Einwohner, der sein Land drei Jahre lang für 150 Dollar nicht loswurde, verkauft es jetzt für 20.000. Der Käufer schlägt es innerhalb von 15 Minuten wieder los, als ihm jemand 50.000 Dollar bietet.
Schon im September 1901 sind mindestens sechs Bohrungen auf dem Spindletop Hill aktiv, innerhalb eines Jahres steigt die Zahl auf 285. Bis 1902 werden mehr als 500 Förderunternehmen gegründet, darunter die Gulf Oil Corporation und Texaco, die heute zum Großkonzern Chevron gehören. 15,5 Millionen Barrel Öl werden in dem Jahr gefördert.