Dienstag trifft Donald Trump in der TV-Debatte auf Joe Biden. Erstmals live vor Kameras stritten Kandidaten vor 60 Jahren. Ihr denkwürdiger Auftritt veränderte US-Wahlkämpfe nachhaltig.
Die neue Ära des US-Wahlkampfes begann in Schwarz-Weiß, mit einem kargen Set vor schmuckloser Studiowand: ein kleiner Tisch für den Moderator, zwei Stehpulte für die beiden Gäste, zwei Stühle und Beistelltische.
Moderator Howard K. Smith begrüßte am 26. September 1960 das Fernsehpublikum und kam schnörkellos zur Sache: Die großen TV- und Radionetzwerke der USA gaben gemeinsam den beiden Präsidentschaftskandidaten eine Plattform, um die wichtigsten politischen Fragen öffentlich zu debattieren. „Nach den Regeln, die beide Kandidaten selbst aufgestellt haben, wird jeder eine Eröffnungsrede von etwa acht Minuten halten und eine Schlussrede von etwa drei Minuten. Dazwischen werden die Kandidaten Fragen beantworten oder kommentieren, die ihnen von einer Gruppe Korrespondenten gestellt werden“, erklärte Smith.
Links saß der demokratische Senator John F. Kennedy mit übereinandergeschlagenen Beinen, auf dem Knie gefalteten Händen und in aufrechter Pose, den Blick gerade auf die Kamera gerichtet. Rechts hatte Republikaner Richard Nixon die Knie asymmetrisch angewinkelt, griff erst seine rechte Hand, dann die Stuhllehne, sein Blick huschte unsicher zwischen Kamera und Moderator hin und her.
Die Szenerie der ersten Debatte zwischen zwei US-Präsidentschaftskandidaten vor 60 Jahren war zahmer, viel unspektakulärer als TV-Duelle heute. Wenn Donald Trump am 29. September zur ersten von drei Debatten auf seinen Herausforderer Joe Biden trifft, begegnen sie sich sorgfältig gestylt auf einer in den Nationalfarben geschmückten Bühne und sind von ihren Teams wochenlang auf den Auftritt vorbereitet worden – vom Begrüßungshandschlag bis zum letzten Wort. Journalisten werden ihre Ausführungen live auf Falschaussagen prüfen, Zuschauer sie live kommentieren.
Als junge Abgeordnete befreundet
Die TV-Duelle der Kandidaten gehören längst zu den fixen Ritualen im Wahlkampf und lassen mitunter die Gunst des Publikums wegen unbedachter Aussagen und peinlicher Einzelmomente kippen (siehe Fotostrecke). Die Kennedy-Nixon-Debatte 1960 war wegweisend: Erstmals brachte sie Politik direkt ins Wohnzimmer und verlagerte den Wahlkampf von Zeitungsartikeln, Veranstaltungshallen und Radioübertragungen ins Fernsehen. Bereits 1955 besaß jeder zweite US-Haushalt ein Fernsehgerät. Rund 70 Millionen Amerikaner schalteten zum ersten der vier Duelle zwischen Kennedy und Nixon ein.
Die beiden Kandidaten kannten einander gut, respektierten einander, hatten sogar als junge Kongressabgeordnete 13 Jahre zuvor Freundschaft geschlossen. Als Nixon 1950 für den Senat kandidierte, überbrachte ihm Kennedy eine Wahlkampfspende seines Vaters. Nachdem Kennedy selbst Senator wurde, lagen ihre Büros auf dem Flur vis-à-vis. Noch am Silvesterabend 1959 sagte Kennedy: Sollten ihn die Demokraten nicht zum Kandidaten küren, werde er Richard Nixon wählen.
Schon in ihrem ersten Kongressjahr hatten Kennedy, damals 29, und der fünf Jahre ältere Nixon in einer Kleinstadt in Pennsylvania über nationale Themen diskutiert – Kennedy schnitt besser ab. 1960 schien Nixon im Vorteil: Sieben Jahren schon diente er als Vizepräsident unter Dwight D. Eisenhower; Kennedy war noch immer Senator mit wenig Erfahrung in der Exekutive. Und Nixon hatte im neuen Medium Fernsehen bereits brilliert: Bei einer spontanen Diskussion mit Nikita Chruschtschow über die Vorzüge von Kommunismus und Kapitalismus hatte Nixon mit gewitzten Antworten und raumgreifenden Gesten den sowjetischen Regierungschef in die Defensive argumentiert.
Diesmal aber sollte er das Medium unterschätzen.
Nixon war ebenbürtig, Kennedy sah besser aus
Nixon in seinem grauen Anzug schien mit dem Studiohintergrund zu verschmelzen. Anzug und Hemd saßen zu locker, der Kandidat wirkte dünn und krank – er kämpfte mit den fiebrigen Folgen einer Erkältung, hatte kurz zuvor mit einer Knieentzündung zwei Wochen im Krankenhaus verbracht und Gewicht verloren. Bei der Ankunft im Studio stieß er sich das empfindliche Knie an seiner Wagentür. Wohl deshalb trat Nixon bei der Aufzeichnung hinter seinem Pult von einem Bein aufs andere. Auf die Zuschauer wirkte er unruhig.
Kennedy war dagegen die Ruhe selbst. Wie es sein Redenschreiber Theodore Sorensen schilderte, sonnte er sich tagsüber auf dem Hoteldach, während sein Team ihn mit Fragen fürs TV-Duell grillte. Dann hielt er ein Nickerchen. Glaubt man den Autoren Richard Lertzman und William Birnes, ließ sich Kennedy vom Arzt seines Vertrauens, Max Jacobson, dessen geheimes Wundermittel (einen mit Aufputschmitteln versetzten Cocktail) gegen Heiserkeit direkt in den Hals injizieren.
Fit und wach, im dunklen Anzug und mit Bühnen-Make-up schritt der 43-Jährige ans Pult und begann seine Eröffnungsrede mit einem historischen Vergleich zu Abraham Lincoln 1860, als die Sklavereifrage die Nation entzweite. Kennedy schlug einen Bogen zum Kampf gegen den Kommunismus, der die westliche Welt versklaven wolle. Stets sprach er direkt in die Kamera zu den Zuschauern.
Nixon verhaspelte sich gleich bei seiner Einstiegsrede und versprach sich dann bei einer Frage zur staatlichen Unterstützung der Bauern: Man müsse die Farmer loswerden – schnelle Korrektur: Deren Produktionsüberschüsse müsse man abschaffen. Nun rächte sich, dass Nixon auf Make-up verzichtet hatte. Auf seinem Kinn glänzte schon in den ersten Minuten eine Schweißperle. Mit einem Taschentuch tupfte er den Schweiß ab. Die Kamera hielt darauf. Auch sein Bartschatten trat immer deutlicher hervor.
„George Washington hätte eine TV-Debatte verloren“
Kennedy und Nixon nahmen Stellung zur Staatsverschuldung, Bildung und Bezahlung von Lehrern, zur Krankenversicherung und dazu, wie Amerika angesichts des gefürchteten Kommunismus ein starkes, selbstbewusstes Land sein könne. „Senator Kennedy und ich stimmen in den Zielen überein. Es sind die Mittel, bei denen wir uns unterscheiden“, sagte Nixon.
Inhaltlich und rhetorisch waren die Rivalen auf Augenhöhe, doch mehr blieb ihr Auftreten den Zuschauern im Gedächtnis – und da sah Nixon schlechter aus. Zuvor war Kennedy in den nationalen Umfragen einen Prozentpunkt hinter ihm, anschließend mit drei Prozentpunkten vorn. Das Fernsehduell wurde zum „Gamechanger“ für den telegenen, dynamischen Senator: In einem der engsten Präsidentschaftsrennen siegte er am Ende mit rund 100.000 Wählerstimmen Vorsprung.
Das neue Format überzeugte nicht alle. So kritisierte Geschichtsprofessor Henry Steele Commager in der „New York Times“: „Diese im Fernsehen übertragenen Konferenzen sind ein Unglück in dieser Kampagne, und in den zukünftigen Kampagnen könnten sie ein Desaster werden.“ Die Zuschauer sähen nicht die Qualitäten, auf die es bei einem Präsidenten ankomme, etwa geduldig und wohlüberlegt zu sein.
Belohnt würden Fernsehqualitäten wie Witz und Schnelligkeit, schrieb Commager – „George Washington hätte eine TV-Debatte verloren“. Diese Diskussionsform ermuntere „die amerikanische Öffentlichkeit zu glauben, dass es keine Fragen, keine Probleme gibt, die so kompliziert sind, dass man sie nicht in zwei oder drei Minuten mit einem Kommentar aus dem Stegreif erledigen könnte.“
Clinton, Trump und die Ausdauer
Seitdem wurden die TV-Duelle zu verlässlichen Schlagzeilengaranten. So schaufelte sich Gerald Ford 1976 selbst ein Grab, als er mitten im Kalten Krieg erklärte, es gebe keine Sowjet-Vorherrschaft über Osteuropa. Mit Spontaneität und Bühnenerfahrung kann man jederzeit punkten: Ronald Reagan (damals 73 und damit jünger als Trump und Biden heute) überspielte 1984 kritische Fragen nach seinem Alter mit dem Kommentar, er werde die Jugend und Unerfahrenheit seines Opponenten nicht ausnutzen; da musste selbst Herausforderer Walter Mondale, 56, lachen.
In Erwartung eines harten Schlagabtauschs erzielen die Duelle Rekordquoten, zuletzt 2016. 84 Millionen Amerikaner sahen zu, wie Donald Trump seiner Gegnerin Hillary Clinton fehlende Standhaftigkeit („stamina“) unterstellte und sie konterte: „Wenn er erst mal in 112 Länder gereist ist, einen Friedensvertrag und einen Waffenstillstand ausgehandelt hat, kann er mit mir über Standhaftigkeit reden.“
Seit 1976 messen sich auch die Kandidaten der Vizepräsidentschaft vor einem TV-Publikum – und mitunter wurde es persönlich. Als sich der republikanische Vize Dan Quayle 1988 mit John F. Kennedy verglich, beschämte ihn Demokrat Lloyd Bentsen: „Senator, ich habe mit Jack Kennedy gedient. Ich kannte Jack Kennedy. Jack Kennedy war ein Freund von mir. Senator, Sie sind kein Jack Kennedy.“
Richard Nixon weigerte sich in seinen Wahlkämpfen 1968 und 1972, erneut in TV-Debatten anzutreten. In seinem Buch „Sechs Krisen“ schrieb er über die Erfahrung: „Ich hatte mich auf die Substanz konzentriert, nicht auf das Auftreten. Ich hätte mich daran erinnern müssen, dass ein Bild mehr wert ist als tausend Worte.“
(Spiegel Online)