Mit frittiertem Hühnchen gegen Rassismus

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Martin Luther King 1968 in Chicago (Flickr)

Georgia Gilmore, bekannt für ihre Südstaatenküche, stritt furchtlos für die Rechte der Schwarzen. Als sie wegen des Busboykotts gefeuert wurde, half ihr Martin Luther King – und sie bekochte die Bürgerrechtler.

Mit einem historischen Sieg kehrte Martin Luther King im März 1965 aus Selma zurück nach Montgomery, in die Hauptstadt des US-Bundesstaats Alabama. Aufwühlende Tage lagen hinter der US-Bürgerrechtsbewegung, die gerade mit einem Protestmarsch einen ihrenr Höhepunkte erreicht und dafür drei Anläufe gebraucht hatte.

Den ersten Marsch von Selma nach Montgomery stoppte die Polizei am „Bloody Sunday“ mit Tränengas und Knüppeln. Auch der zweite Marsch für das Wahlrecht der Schwarzen erreichte nicht das Ziel; danach ermordeten weiße Rassisten den Bürgerrechtler James Reeb. Erst der dritte Versuch glückte – die Demonstranten konnten über den Highway 80 bis nach Montgomery ziehen, das Konzert „Stars for Freedom“ besuchen und am 25. März Kings Rede hören.

Vom langen Marsch und den Auseinandersetzungen war Martin Luther King erschöpft. Einen letzten Stopp legte er trotzdem ein, so viel Zeit musste sein: King betrat einen bescheidenen Bungalow in der Dericote Street, nur wenige Blöcke von seinem Haus in Montgomery entfernt. Er sank in einen Stuhl – und machte sich über Georgia Gilmores berühmtes Schweinekotelett her.

Gilmore war in Montgomery bekannt und beliebt für ihre Südstaaten-Kochkünste. Und dafür, dass sie die Bürgerrechtsbewegung mit Spenden unterstützte. Sie frittierte Hühnchen und Fisch, servierte Süßkartoffelauflauf, gedünstetes Gemüse, Schweinekotelett und Reis. Sie und ihre Helfer verkauften Sandwiches bei Versammlungen, an Taxiständen, vor Schönheitssalons oder Kirchen. Später lieferte Gilmore als Kleinunternehmerin ganze Menüs aus und servierte Mittag- und Abendessen im heimischen Wohnzimmer.

Resolut gegen Rassismus

King war Stammgast in Gilmores Haus. Er nannte sie „Tiny“ und schätzte ihre gute Küche so sehr wie ihren Aktivismus. „Dr. King konnte nicht einfach irgendwo hingehen, um zu essen. Er brauchte einen Ort, an dem er nicht nur den Leuten um sich herum vertrauen konnte, sondern auch dem Essen. Das war bei Georgia“, sagte der Geistliche Al Dixon der Radiokette NPR. King pries ihre Kochkünste und traf sich regelmäßig mit anderen Aktivisten zu Mahlzeiten und Strategiebesprechungen bei Gilmore.

Georgia Gilmore, geboren 1920, galt als freundlich und mütterlich mit starkem Gerechtigkeitssinn und feurigem Temperament. Martin Luther King beschrieb sie als „ungebildete Frau von außergewöhnlicher Intelligenz“. Sie arbeitete zunächst als Köchin bei der National Lunch Company in Montgomery und nahm Jobs als Hebamme an, um ihre sechs Kinder großzuziehen. Im Angesicht von Rassismus war sie resolut und unerschrocken.

„Ich hatte keine Angst davor, mit jemandem zu kämpfen. Mir war es egal, ob derjenige weiß oder schwarz war“, erzählte Gilmore 1986 im Dokumentarfilm „Eyes on the Prize: America’s Civil Rights Years“. Bekannte erinnerten sich später, dass sie sogar vor Handgreiflichkeiten nicht zurückschreckte, als ein weißer Ladenbesitzer ihre Kinder beleidigte.

Busplatz für Weiße freimachen? Nein!

Rassismus begegnete Gilmore überall. Die Gesetze zur Rassentrennung schrieben Afroamerikanern einst vor, wo sie laufen, reden, essen, trinken oder sich ausruhen durften. Fuhren sie mit dem Bus, mussten Schwarze vorn beim Fahrer bezahlen, aussteigen, hinten wieder einsteigen – und dabei oft Beleidigungen erdulden. Gilmore erinnerte sich 1956 vor Gericht, wie ein Fahrer sie anschnauzte: „Nigger, mach, dass du aus der Tür kommst und geh zur hinteren Tür.“ Als sie aus dem Bus stieg, brauste der Fahrer davon.

Schwarze waren verpflichtet, ihren Sitzplatz für Weiße aufzugeben, wenn sich der Bus füllte. Als sich die 15-jährige Claudette Colvin am 2. März 1955 weigerte, wurde sie verhaftet. Neun Monate später widersetzte sich Rosa Parks der gleichen Aufforderung. Ihre Verhaftung löste den Busboykott aus, der am 5. Dezember begann und über ein Jahr dauerte.

Mit Aktivisten um Martin Luther King und Ralph Abernathy beschloss die „Montgomery Improvement Association“, dass Schwarze so lange nicht Bus fahren würden, bis man ihnen ihr Recht auf einen Sitzplatz zugestehe. All die Haushälterinnen und Köchinnen, die mit dem Bus zu ihren wohlhabenden weißen Arbeitgebern fuhren, gingen fortan zu Fuß.

Die Köchin wurde gefeuert

„Sie waren diejenigen, die die Buslinien am Laufen hielten. Nachdem sie aufhörten, den Bus zu nehmen, gab es keinen Grund für den Bus zu fahren“, sagte Georgia Gilmore. Selbst auf ihren Fußwegen wurden Schwarze angefeindet. „Oft sagten junge Weiße so etwas wie ‚Nigger, weißt du nicht, dass es besser ist, den Bus zu nehmen als zu laufen?‘ Und wir antworteten ‚Nein, du Cracker, wir laufen lieber’“, erzählte Gilmore im TV-Interview.

Beim Busboykott brauchten die, die zu alt oder zu schwach zum Laufen waren, andere Transportmöglichkeiten. Die Aktivisten organisierten Fahrgemeinschaften und mussten für Versicherung, Benzin, Reparaturen von Hunderten Fahrzeugen aufkommen. Um den Boykott mit ihren Mitteln zu unterstützen, entschied sich Gilmore für das Naheliegende: ihre Kochkünste.

Mit einer kleinen Gruppe kaufte sie Hühnchen, Brot und Salat und verkaufte ihre Hühnersandwiches bei einer der Massenkundgebungen. Bald kochten Gilmore und ihre Helfer auch ganze Menüs, backten Napfkuchen und boten ihre Ware in Montgomery an. Auch manche weiße Hausfrau kaufte ohne Wissen ihres Ehemanns bei Gilmores Gruppe.

Um ihre Helfer und weißen Unterstützer vor Repressalien zu bewahren, hielt Gilmore die Herkunft der Gelder geheim und nannte ihre Organisation den „club from nowhere“ – Klub aus dem Nirgendwo. „Sie eröffnete diesen Frauen, deren Großmütter noch als Sklaven geboren worden waren, einen Weg, zur Sache beizusteuern, ohne den Verdacht ihrer weißen Arbeitgeber auf sich zu ziehen, die sie entlassen könnten, oder ihrer weißen Vermieter, die sie aus ihrer Wohnung werfen könnten“, schreibt John T. Edge in einem Buch über die Ernährungsgeschichte der Südstaaten und bezeichnet Gilmores Küche als Zentrale des Wandels.

Nur beim Geld farbenblind

Im Zuge des Boykotts wurden Martin Luther King und andere Anführer im Februar 1956 wegen Verschwörung angeklagt. Auch Georgia Gilmore sagte im Prozess für ihn aus – vor allem ein Satz blieb ihren Mitstreitern in Erinnerung: „Wenn sie das Geld zählen, unterscheiden sie nicht zwischen dem Geld von Schwarzen und dem von Weißen.“

Ihr öffentliches Engagement für die Bürgerrechtsbewegung kostete Gilmore den Job: Die National Lunch Company feuerte sie. Es war Martin Luther King, der Gilmore ermutigte, ihre heimische Küche in ein Restaurant zu verwandeln. Er half ihr beim Sprung in die Selbstständigkeit – und bald aßen die Leute auf ihrem Wohnzimmersofa oder dichtgedrängt um den Esstisch. „Wann immer wichtige Leute in die Stadt kamen, bat er Miss Gilmore, eine Ladung Hühnchen zu kochen“, erzählte Kings Friseur Nelson Malden dem NPR-Radio.

Nach 381 Tagen endete der Busboykott von Montgomery am 20. Dezember 1956 mit einem Erfolg. Nachdem der Oberste Gerichtshof entschieden hatte, dass die Rassentrennung in Bussen verfassungswidrig war, musste die Stadt Montgomery es Schwarzen erlauben, jeden beliebigen Sitzplatz im Bus einzunehmen. Georgia Gilmore stand in ihrer Küche und kochte, als sie aus dem Radio vom Triumph erfuhr.

Martin Luther King elektrisierte 1963 die Massen mit seiner „I have a dream“-Rede; nach seiner Ermordung vor 50 Jahren brannten die Straßen Washingtons. Georgia Gilmore blieb der Bürgerrechtsbewegung noch lange nach dem Busboykott treu. Sie starb am 3. März 1990, als sie Essen für den 25. Jahrestag des Marsches von Selma kochte. Ihr letztes Gericht – frittiertes Hühnchen und Makkaroni mit Käse – wurde der Trauergemeinde serviert.