Harriet Beecher Stowe: Die kleine Frau und der große Krieg

Foto: Harriet Beecher Stowe
(via Wikimedia Commons)

Bis heute streiten Amerikaner über den Anti-Sklaverei-Roman »Onkel Toms Hütte«. Vor 125 Jahren starb die Autorin Harriet Beecher Stowe. Auf die Verwendung ihres Werks hatte sie schon zu Lebzeiten kaum Einfluss.

Am 2. Dezember 1862 traf Harriet Beecher Stowe den US-Präsidenten Abraham Lincoln. Zehn Jahre zuvor hatte die Schriftstellerin ihren Anti-Sklaverei-Roman »Onkel Toms Hütte« veröffentlicht, seit knapp eineinhalb Jahren schon kämpften Nord- und Südstaaten im Amerikanischen Bürgerkrieg darum, ob die Sklaverei abgeschafft werden sollte. »Sie sind also die kleine Frau, die das Buch geschrieben hat, das uns diesen großen Krieg gebracht hat«, soll Lincoln zu ihr gesagt haben.

Belegt werden kann das berühmte Zitat zwar nicht, erst nach Stowes Tod verbreiteten es Familienangehörige. Historiker bezweifeln auch, dass »Onkel Toms Hütte« mit in den Bürgerkrieg führte. Unbestritten ist aber, dass ihr Buch viel auslöste. Die protestantische American Missionary Association lobte Stowe 1892 als die Frau, »die mehr als irgendeine andere jetzt lebende Person dafür getan hat, das Gewissen unserer Nation für die Sünde der Sklaverei zu wecken und die Emanzipation dieser Rasse zu sichern«.

Dagegen kritisierte James Baldwin den »sehr schlechten Roman« mit »selbstgerechter, moralisch überlegener Sentimentalität«, wie der afroamerikanische Schriftsteller und Aktivist 1949 in einem Essay schrieb. Bis heute, 125 Jahre nach ihrem Tod, beschäftigt Stowes Werk das Land, das noch immer darüber streitet, wie es seine Vergangenheit mit der Sklaverei aufarbeiten soll.

10.000 Verkäufe in der ersten Woche

Harriet Elisabeth Beecher wurde 1811 in Litchfield (Connecticut) als sechstes von elf Kindern einer streng religiösen Familie geboren. Ihr Vater Lyman Beecher war ein angesehener Pfarrer und führender Vertreter der Abstinenzbewegung, die Alkohol als Teufelszeug bekämpfte. Als Fünfjährige verlor sie die Mutter, zwei Jahre später gewann sie einen Schreibwettbewerb. Harriet bekam eine – für Mädchen noch ungewöhnlich – gute Bildung. Im Familienkreis debattierte man lebhaft über Tagesaktuelles: Sklaverei etwa lehnte die gläubige Beecher-Familie ab.

1836 heiratete Harriet Beecher den Theologieprofessor Calvin Stowe. Das Ehepaar zog nach Maine und unterstützte die Underground Railroad, ein geheimes Fluchtnetzwerk, das Sklaven aus den Südstaaten in die Freiheit schmuggelte.

Seit Jahren schon schwelte der Streit zwischen den Nordstaaten, die Sklaverei ablehnten, und den Südstaaten. Dort trug die Ausbeutung der Sklaven die florierende Baumwoll- und Tabakwirtschaft. Nur wenige Sklaven konnten mit viel Glück den furchtbaren Zuständen entfliehen. Doch der 1850 erneuerte »Fugitive Slave Act« legte fest, dass in die Nordstaaten geflohene Sklaven zu ihren Besitzern im Süden zurückgeschickt werden mussten. Die Abolitionisten, Gegner der Sklaverei, waren empört, weil das Gesetz sie de facto dazu zwang, ein System aufrechtzuerhalten, das sie ablehnten.

Stowe hatte bereits Kurzgeschichten, Romane und Zeitungsartikel veröffentlicht. Nun gab die Abolitionistenzeitung »The National Era« ihr den Auftrag, eine Geschichte über die Sklaverei zu schreiben. Stowe plante drei, vier Teile – es wurden mehr als 40.

»Onkel Toms Hütte« schildert das Schicksal des Sklaven Tom, der aus Geldmangel verkauft und so von seiner Familie getrennt wird. Tom landet in den Fängen eines brutalen Sklavenbesitzers. Aufseher prügeln ihn zu Tode, weil er den Aufenthaltsort zweier geflohener Sklavinnen nicht preisgibt. Die Veröffentlichung in »The National Era« war so erfolgreich, dass Stowe die Geschichte auch als Buch herausgab. Der Roman verkaufte sich schon in der ersten Woche über 10.000 Mal, im ersten Jahr über 300.000 Mal.

»Onkel Tom« auf Taschentüchern, Tassen, Brettspielen

Das Buch brachte Stowe im Norden viele Bewunderer. So schrieb ihr der afroamerikanische Schriftsteller Frederick Douglass, einst selbst der Sklaverei entflohen: »Es ist mir ein Anliegen, Madam, meine tiefe Wertschätzung auszudrücken über den Dienst, den Sie meinem geplagten und verfolgten Volk mit der Veröffentlichung Ihres unnachahmlichen Buches über das Thema der Sklaverei erwiesen haben. Dieser Beitrag zu unserer blutigen Sache allein bringt eine Dankesschuld mit sich, die nicht gemessen werden kann.« Dagegen taten Befürworter der Sklaverei Stowes Roman als Fiktion ab, »Anti-Tom-Romane« über wohlwollende Sklavenhalter entstanden.

Manche Kritikpunkte sind bis heute relevant. Dass Stowe ihre Figuren mit einem von Natur aus kindlichen Charakter ausstattete, brachte ihr den Vorwurf ein, selbst rassistische Stereotype zu bedienen. Ihre Entscheidung, die Überlebenden am Ende nach Afrika zurückkehren zu lassen, um dort ein christliches Land zu gründen, wurde als kolonialistisches Denken angeprangert. Als Antwort legte Stowe noch 1853 in »A Key to Uncle Tom’s Cabin« die Quellen für ihren Roman offen. So orientierte sich das Schicksal ihrer Hauptfigur an den Memoiren des früheren Sklaven Josiah Henson.

Doch die Autorin hatte kaum Kontrolle darüber, wie ihr Roman adaptiert wurde: Onkel Tom erschien auf Tapeten, Taschentüchern, Keramik oder Brettspielen. Und bald auch auf der Bühne. Stowe selbst verzichtete wegen ihrer religiösen Überzeugungen darauf, an der Entwicklung eines Bühnenstücks mitzuwirken.

Sklaverei-Anhänger kaperten ihren Roman

Weil es aber noch keine Urheberrechte gab, die eine Adaption von Stücken ohne Zustimmung des Autors verboten, reisten bald Schauspieltruppen mit »Minstrel-Shows« durchs Land: Dabei färbten sich weiße Schauspieler das Gesicht schwarz (»blackfacing«) und gaben auf der Bühne einen stereotyp dummen, faulen, lüsternen Schwarzen. Die »Tom Shows« hatten wenig mit Stowes Roman gemein, ganze Szenen wurden herausgekürzt. Der im Roman starke, mutige Tom: Auf der Bühne wurde er zum unterwürfigen alten Mann.

Während Sklaverei-Befürworter Stowes Werk einfach umschrieben, sah man bei den Abolitionisten wie auch in der Frauenbewegung zu ihr auf. Im Kampf pro Frauenwahlrecht engagierten sich auch Stowes Schwestern Catherine und Isabella. Daher hofften die Frauenrechtlerinnen Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony, Stowe für ihr Magazin »Revolution« zu gewinnen: Sie sollte mit einem Fortsetzungsroman über Frauenrechte die Causa so voranbringen, wie es ihr mit »Onkel Toms Hütte« bei der Debatte über die Sklaverei gelungen war.

Stowe war für den Kampf um Frauenrechte zwar aufgeschlossen, aber sehr religiös geprägt. Ihrer Meinung nach sollten Frauen mit mehr Rechten einen positiven Einfluss auf die öffentliche Moral und Bildung ausüben. Sie befürwortete Frauenbildung – und glaubte dennoch, Frauen seien vor allem fürs Häusliche berufen.

»Niederträchtige Knastschwester«

Unterdessen zerbrach die amerikanische Frauenbewegung in zwei Lager: Die einen wollten das Frauenwahlrecht flächendeckend per Verfassungszusatz durchkämpfen, die anderen durch Gesetze in jedem Bundesstaat einzeln. Als die Gruppe um Susan B. Anthony radikaler ihre Rechte einforderte und dann sogar mit Victoria Woodhull 1872 eine Frau US-Präsidentin werden wollte, noch bevor Frauen überhaupt wählen durften, sah Stowe ihre Befürchtungen bestätigt.

Woodhull hatte Jobs als Wahrsagerin, Tänzerin und New Yorks erste Aktienhändlerin; sie benahm sich, wie es ihr gefiel. Auf Stowe wirkte sie wie der Inbegriff einer Frau, die nur Rechte einforderte, ohne ihre Pflichten erfüllen zu wollen. Und dann machte Woodhull in einem Zeitungsartikel auch noch die Affäre von Stowes Bruder, dem Priester Henry Ward Beecher, mit einem verheirateten Gemeindemitglied öffentlich – nun nannte Stowe sie eine »unverschämte Hexe« und »niederträchtige Knastschwester«.

Die Schriftstellerin setzte Woodhull mit der Figur der Audacia Dangereyes in ihrem Roman »My Wife and I« ein unrühmliches Denkmal. Darin plädieren die Frauen zwar für ein Recht auf Bildung und Beruf; Stowe lässt sie ihre Macht aber ausüben, indem sie Männer unter ihren Einfluss bringen und für ihre Zwecke benutzen.

An die Verkaufserfolge von »Onkel Toms Hütte« konnte keines von Stowes weiteren Werken je anschließen. Nach dem Tod ihres Ehemanns 1886 verschlechterte sich ihre geistige Gesundheit dramatisch. 1888 berichtete die »Washington Post«, dass Stowe ihren Erfolgsroman erneut zu schreiben begonnen habe: im festen Glauben, die Worte das erste Mal zu Papier zu bringen. Acht Jahre später starb Harriet Beecher Stowe, am 1. Juli 1896. Sie wurde 85 Jahre alt.

(Spiegel Geschichte)