Weg mit dem Teufelszeug! Eine Allianz aus frommen Christen und grimmigen Frauen trieb die Vereinigten Staaten in die Abstinenz. Vor genau 100 Jahren wurde Alkohol verboten. Das ging nicht lange gut.
20 Träger hoben den Sarg von John Barleycorn am 16. Januar 1920 aus dem Zug und luden ihn auf einen Wagen. Gut 10.000 Trauergäste folgten zur Kirche von Norfolk im US-Bundesstaat Virginia. Dort hielt Billy Sunday – einst Baseballstar, nun gefeierter Massenprediger – die Trauerrede: „Leb wohl, John. Du warst Gottes schlimmster Feind und der beste Freund der Hölle.“ Satan persönlich, ein kostümierter Kerl mit Teufelsmaske, saß unter den Gästen und wand sich in großer Trauer.
Noch mehr religiösen Eifer zeigte die Anti-Saloon League (ASL), getragen von protestantischen Christen. Als der Anwalt Wayne Wheeler 1904 die Leitung übernahm, begann eine der ersten aggressiven Lobby-Kampagnen in der amerikanischen Politik. Zunächst unterstützte die League den 16. Zusatzartikel zur US-Verfassung, der die Einkommenssteuer einführte. Das machte die Regierung weit weniger abhängig von ihrer bis dato größten Einkommensquelle: Steuern auf Alkohol.
Die ASL druckte monatlich 300 Tonnen politische Schriften und schickte sie mit unmissverständlicher Botschaft an Parlamentarier: Sag uns deine Haltung zum Alkohol – und dann entscheiden protestantische Wähler, ob du Abgeordneter bleibst oder nicht. Bis 1915 verabschiedeten 17 Bundesstaaten Alkoholverbote. Doch regionale Regelungen waren den Abstinenzlern nicht genug. Ein landesweites Verbot sollte her.
Diese Deutschen: „Liberty Cabbage“ statt Sauerkraut
Was ihnen in die Karten spielte: Die Vereinigten Staaten wandelten sich im 19. Jahrhundert zur modernen Industrienation und wuchsen extrem durch den Zustrom an Einwanderern. Für sie waren Saloons wichtige Treffpunkte mit Landsleuten. Viele andere Amerikaner dagegen störten sich an den „Einwanderer-Bars“.
Einige deutsche Immigranten hatten unterdessen Brauereien gegründet. 1850 wurden USA-weit noch 36 Millionen Gallonen Bier produziert, 1870 bereits 550 Millionen. Adolphus Busch hatte mit seinem Schwiegervater die mächtige Brauerei Anheuser Busch aufgebaut. Er hielt gegen die Temperance-Kampagne und unterstützte die German American Society: ein Zusammenschluss deutscher Bierbrauer, der sich offen für die Bewahrung der deutschen Kultur der Einwanderer einsetzte.
„Bierkönig“ Busch trug dazu bei, den Vormarsch der Abstinenzler aufzuhalten. Doch im Ersten Weltkrieg schlug die Stimmung im Land um. Alles Deutsche sollte verschwinden – sogar Sauerkraut wurde in „Liberty Cabbage“ (Freiheitskraut) umbenannt.
Die Abstinenz-Aktivisten triumphierten am 10. Februar 1913, als der texanische Senator Morris Sheppard den 18. Zusatzartikel zur Verfassung einbrachte. „Ein Jahr nach Ratifizierung dieses Artikels ist die Produktion, der Verkauf oder Transport von berauschenden Alkoholen innerhalb, der Import in oder der Export aus den Vereinigten Staaten und allen Gebieten unter deren Jurisdiktion verboten“, lautete der erste Absatz.
Konjunkturprogramm für Gangster
ASL-Lobbyist Wheeler machte mit dem Senat einen Deal: Die Abstinenzler erhielten ein Zeitlimit von sieben Jahren, um den Zusatzartikel mit einer Drei-Viertel-Mehrheit der damals 48 US-Bundesstaaten ratifizieren zu lassen. Sie schafften es in knapp 13 Monaten. Wie weit die Prohibition reichte, regelte der Volstead Act. Am Entwurf hatte Wheeler mitgewirkt – kein Wunder, dass schon Getränke mit 0,5 Volumenprozent Alkohol als berauschend galten.
Ab Januar 1920 galt die Prohibition flächendeckend. Doch die Amerikaner wurden keineswegs über Nacht strikte Abstinenzler. Schnell zeigte sich, dass die Verabschiedung des Gesetzes eine Sache war, die Durchsetzung eine ganz andere. So erwischte die Polizei in Seattle schon nach wenigen Wochen eine Gruppe Männer beim Alkoholschmuggel, unter ihnen Roy Olmstead.
Der junge Polizeibeamte wurde entlassen und musste 500 Dollar Strafe zahlen. Als Profischmuggler schmierte Olmstead Polizisten und Politiker bis hin zum Bürgermeister, viele Menschen arbeiteten für ihn. Weil seine Leute weder Waffen trugen noch blutige Revierkämpfe ausfochten, wurde Olmstead in Seattle als the good bootlegger (der gute Schmuggler) bekannt.
Der Alkoholschmuggel boomte bald überall, damit auch das organisierte Verbrechen. Dennoch hielt sich die Prohibition 13 Jahre. Erst der Ausbruch der „Großen Depression“, der verheerenden Wirtschaftskrise zusammen mit dem Gangstertum und seinen vielfach tödlichen Folgen, machte ihr den Garaus. 1933 hatten die Amerikaner endgültig genug vom strikten Alkoholverbot, der 18. Zusatzartikel wurde aufgehoben – bis heute der einzige, der je revidiert wurde.
Der wahrscheinlich erste Amerikaner, der wieder legal Alkohol trank, hieß Benjamin DeCasseres: In einer Bar in Manhattan orderte der New Yorker Autor am 5. Dezember 1933 einen Highball und stürzte den Cocktail hinunter. Es geschah zweieinhalb Sekunden, nachdem ein zuvor bestelltes Telegramm eintraf und vom Ende der Prohibition kündete.
(einestages)