Guter Rat ist teuer

Die Politik vertraut gern auf die Expertise von Sachverständigen. Doch sind die gefragten Wirtschaftsgelehrten wirklich unabhängig?

 

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INSM-Frühstücksdialog mit Prof. Börsch-Supan (Foto: https://www.flickr.com/photos/insm)

Ob Rentenreform oder Finanzmarktregulierung: Wenn es um komplexe Themen geht, sucht die Politik häufig den Dialog mit Forschern. Regelmäßig werden sie in Expertengremien berufen. Sie verfügen über umfangreiche fachliche Expertise, können komplizierte Sachverhalte erklären und einordnen. Soweit die Theorie. In der Praxis sind einige dieser Experten jedoch weniger unabhängig als auf den ersten Blick erkennbar.

Mit Verabschiedung der Reform gab es Erklärungsbedarf: Wer hat Anspruch auf Lebensleistungsrente, Mütterrente oder Rente mit 63? Wem erwächst ein Nachteil? Professor Bernd Raffelhüschen hat dazu eine dezidierte Meinung: „Es ist alles falsch, was gemacht wird“, poltert er in den Medien. Die Rente mit 63 sei „zutiefst unsozial“, das Rentenpaket als Ganzes privilegiere die „Edelrentner“. Er prophezeit schmerzhafte Beitragssteigerungen von derzeit 18,9 auf 28 Prozent.

Raffelhüschen ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Das Institut analysiert, wie die finanziellen Verpflichtungen der Sozialversicherungssysteme auf die Generationen verteilt sind. Außerdem fertigt das FGZ Gutachten zu aktuellen Fragen der Finanz- und Sozialpolitik für Unternehmen, Verbände und öffentliche Organisationen an.

Zum Beispiel den „Vorsorgeatlas Deutschland 2013“, den Institutsleiter Raffelhüschen mitverfasst hat. Die Studie kommt zu der Schlussfolgerung, dass „ein Großteil der Erwerbstätigen ihren Lebensstandard im Alter nur durch zusätzliche Vorsorgebemühungen im Rahmen der zweiten oder dritten Schicht aufrechterhalten kann“. Während die zweite Schicht Riester-Rente und betriebliche Altersvorsorge umfasst, zählen zur dritten Schicht private Rentenversicherungen, Aktien und Investmentfonds sowie Immobilien.

In Auftrag gegeben wurde der Vorsorgeatlas von der Investmentgesellschaft Union Investment, die ihren Kunden Riester-Rente, betriebliche Altersvorsorge und private Vorsorge anbietet. Darüber hinaus gehört sie zu den ständigen Förderern des Forschungszentrums Generationenverträge. Finanzielle Mittel bezieht Raffelhüschens Institut außerdem vom Versicherer HDI Gerling, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, der Süddeutschen Krankenversicherung und dem Verband der privaten Krankenversicherungen.

Lukrative Aufsicht. Neben seiner Tätigkeit als Professor sitzt Raffelhüschen seit 2006 im Aufsichtsrat von Ergo – ein Posten, der jährlich mit 35.000 Euro vergütet wird. Darüber hinaus ist er unter anderem Aufsichtsratsmitglied der Volksbank Freiburg, sitzt im Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft und war in der Vergangenheit wissenschaftlicher Berater des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft sowie regelmäßiger Redner beim Finanzdienstleister MLP.

Auf seine Verbindungen zur Versicherungswirtschaft in einer Sendung des ARD-Magazins „Monitor“ angesprochen, wird Raffelhüschen schmallippig. Die Frage, ob seine Nebentätigkeit problematisch seien, pariert er mit dem Hinweis, er sei nicht für die Versicherungswirtschaft tätig sondern staatlicher Professor. Weitere Nachfragen lässt er an sich abperlen. Auch die Anfrage der €uro-Redaktion bezüglich möglicher Interessenkonflikte blieb unbeantwortet.

Anders die Nachfrage beim Deutschen Institut für Altersvorsorge (DIA), für das Raffelhüschen in der Vergangenheit ebenfalls Studien verfasst hat. 2001 prognostizierte der Freiburger Forscher in der DIA-Studie „Soziale Pflegeversicherung heute und morgen“ einen Pflegekollaps und mahnte eine Reform der Pflegeversicherung an. Auch aufgrund solcher Studien schlug Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe Anfang des Jahres vor, einen staatlichen Vorsorgefonds für spätere Pflegekosten aufzulegen. Raffelhüschen hält die staatliche Lösung für Unfug. 80 Prozent der Menschen seien finanziell durchaus in der Lage, privat vorzusorgen. Deshalb plädiere er für ein Karenzzeitmodell, das er bereits 2011 in der DIA-Studie propagierte: Leichtere Pflegefälle sollten ein Jahr lang keine Leistungen erhalten, die anfallenden Kosten dafür in einer privatwirtschaftlich organisierten kapitalgedeckten Pflichtversicherung abgesichert werden.

Träger des DIA sind Finanz- und Versicherungsdienstleister.Das Institut wurde 1997 mit Mitteln der Deutschen Bank, Deutsche Bank Bauspar AG, DWS Investment und der Deutschen Herold AG gegründet. Seit Kurzem bestehen auch Förderpartnerschaften mit der Allianz, Postbank, PB Versicherungen und dem niederländischen Lebensversicherer Aegon.

Mitsprache bei größeren Studien. Klaus Morgenstern, Mitglied des Sprecherkollegiums des DIA, erklärt, dass man die Träger mittlerweile offener ausweise. Unterstützendes Marketing betreibe man in den Studien nicht. „Die Förderer sind nur dann mitspracheberechtigt, wenn es um größere Ausgaben für Studien geht. Dann müssen wir im Beirat und Kuratorium begründen, ob es Sinn ergibt, dafür Geld auszugeben“, so Morgenstern. Er hofft, in den kommenden zwei oder drei Jahren weitere Fördermitglieder gewinnen zu können, damit die Diskussion zur Unabhängigkeit des Instituts vom Tisch ist.

Mit Raffelhüschen hat das Institut seit 2011 nicht mehr zusammengearbeitet. Laut Morgenstern hat das nur einen Grund: „Wir hatten einfach kein Studienthema, das zu ihm gepasst hat.“

Mit Renten- und Pflegeversicherungsreformen befasst sich auch der Wirtschaftswissenschaftler Axel Börsch-Supan. Er tritt wie Raffelhüschen für die private Vorsorge durch Kapitalbildung ein und steht der Reform der Regierung kritisch gegenüber. Beim „Frühstücksdialog“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft beanstandet er, dass das geplante Rentenpaket die betriebliche Altersvorsorge nur en passent thematisiere und die private Altersvorsorge überhaupt nicht vorkomme. Damit gefährde die Reform die Erfolge der Agenda 2010.

Und an denen hat Börsch-Supan seinen Anteil. Er war – neben Bernd Raffelhüschen – Mitglied der Rürup-Kommission, die 2003 Vorschläge zur Reformierung der Sozialversicherung erarbeitete. Ein Ergebnis: das heute als Rürup-Rente bekannte private Vorsorgemodell. Zeitgleich leitete Börsch-Supan das Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel (MEA) an der Universität Mannheim.

Versicherungen zahlen. Dessen Anschubfinanzierung kam 2001 von der Universität, dem baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). In der Broschüre zum zehnjährigen Bestehen des MEA im Jahr 2011 ist von einer „innovativen Private-Public-Partnership“ die Rede. Weiter: „Auf der privaten Seite dieser Partnerschaft hat uns der GDV großzügig unterstützt.“

Im Jahr 2011 verlegte das Institut seinen Sitz nach München, benannte sich in Munich Center for the Economics of Aging um und wurde eine Abteilung des Max Planck Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik. Börsch-Supan steht der Einrichtung weiterhin als Direktor vor. „Das Münchner Zentrum ist Teil der Max-Planck-Gesellschaft und wird zu 100 Prozent von ihr finanziert. Eine Verbindung zur Versicherungswirtschaft besteht nicht“, teilt er auf Anfrage mit.

Raffelhüschen und Börsch-Supan sind nicht die einzigen Experten mit aktuellen oder früheren Verbindungen zur Privatwirtschaft, die die Politik beraten. Nach Ausbruch der Finanzkrise machte Bundeskanzlerin Angela Merkel den ehemaligen EZB-Mann Otmar issing zum Vorsitzenden der Expertenkommission „Neue Finanzmarktarchitektur“. Bis 2012 erarbeitete das Gremium Vorschläge zur Regulierung des Finanzmarkts. Zeitgleich wurde Issing Mitglied der De-Larosière-Gruppe, die im Auftrag der EU-Kommission Lösungsvorschläge zur Krisenbewältigung entwickelte.

Von der EZB zu Goldman Sachs. Der „Vater des Euro“schien eine gute Wahl, war er doch jahrelang Chefökonom bei der Europäischen Zentralbank. Nachdem er 2006 turnusgemäß aus dem EZB-Direktorium ausschied, nahm er nur vier Monate später eine Stelle als Berater beim amerikanischen Geldinstitut Goldman Sachs an. Ein „lockeres Beratungsverhältnis“ sei der Posten, so Issing. Zudem habe der EZB-Rat versichert, die neue Aufgabe stehe nicht im Interessenkonflikt zu seinen früheren Tätigkeiten. Lobbykritiker sehen das anders.2007 hatte Goldman Sachs begonnen, mit Leerverkäufen von der Krise am Immobilienmarkt zu profitieren.

Issing ist nicht allein. Laut einer Studie von Corporate Europe Observatory (CEO) gehört er zu den 75 Prozent von Beratern in EU-Expertengruppen, die an der Gesetzgebung mitarbeiten und gleichzeitig direkte Verbindungen zum Finanzsektor haben.

Neben seinem Job bei der Großbank ist Issing seit Juni 2006 Präsident des Center for Financial Studies (CFS) der Goethe Universität Frankfurt. Das CFS wird von der Gesellschaft für Kapitalmarktforschung getragen, die sich aus Mitteln des Landes Hessen und über die Beiträge seiner Mitglieder finanziert, zu denen DekaBank, DZ Bank und Helaba, aber auch Versicherungsunternehmen, Wirtschaftsprüfer und Beratungsunterhmen gehören. „Die Gremienstruktur des CFS ist so aufgebaut, dass Förderer keinen Zugriff auf die inhaltliche Gestaltung der Arbeit des CFS haben“, sagt Jan Pieter Krahnen, Direktor des CFS. Vorsitzender des Aufsichtspflichten ausübenden Kuratoriums ist eine „renommierte, überparteiliche Persönlichkeit von exzellentem Ruf“: Otmar Issing.

 

Mitarbeit: Nicole Fallenbeck; erschienen in €uro 10/2014