In ganz Europa sollen einheitliche Kaufverträge gelten. Deutschen Mittelständlern schmeckt das gar nicht.
27 Staaten, 27-mal unterschiedliche Gesetze. So ist es nun mal in Europa, und für Markus Alfa, kaufmännischer Leiter bei AWN Stahl- und Metallbau in Nürnberg, ist das auch gar kein Problem. „Grenzüberschreitende Geschäfte können bereits heute problemlos abgewickelt werden“, sagt er – und stellt sich gegen eine Initiative der EU-Kommission, die eigentlich gerade für kleine Firmen wie seine gedacht ist.
Die Kommission will den Handel über nationale Grenzen hinweg erleichtern. Unternehmen sollen ihre Waren und Leistungen anbieten können, ohne die Vertragsrechtssysteme aller anderen 26 EU-Mitgliedsstaaten beherrschen zu müssen. Für Kaufverträge sollen einheitliche Regeln gelten – egal, ob die Firmen ihre Waren nach Frankreich, Polen oder Litauen liefern. „Mein Ziel ist es, dass kleine und mittelständische Unternehmen und Verbraucher von einem benutzerfreundlichen Vertragsrecht profitieren können, insbesondere wenn sie im Binnenmarkt grenzüberschreitende Geschäfte tätigen“, sagt EU-Justizkommissarin Viviane Reding.
Mittelständler fürchten Mehrkosten
Im Mai 2011 hat die Kommission nun einen Gesetzentwurf präsentiert und angekündigt, im Herbst ein offizielles Legislativverfahren einzuleiten. Doch mit dem Entwurf hat sie nicht Hoffnung geweckt, sondern Sorgen – und zwar ausgerechnet bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Denn die wollen die Hilfe nicht, die ihnen Brüssel angedeihen lässt – und wie so häufig geht es vor allem ums Geld. Die Mittelständler fürchten, dass ihnen beim Handel nach Einheitsrecht Mehrkosten entstehen.
Dabei ergibt die Modellrechnung der EU-Kommission das Gegenteil: Wollte ein Unternehmen mit sechs Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 150.000 Euro tatsächlich in alle 26 EU-Staaten liefern, müsste es allein für seine Rechtsberatung 275.000 Euro aufbringen.
Diese Rechnung aber könne er für seinen Betrieb nicht nachvollziehen, hält Thomas Back, Malermeister aus Nürnberg, dagegen. Nachdem die Kommission voriges Jahr ein Grünbuch zu ihren Plänen veröffentlicht und Unternehmen um ihre Meinung gebeten hatte, schickte auch Back eine Stellungnahme nach Brüssel. Da kleine Firmen gar keine eigene Rechtsabteilung hätten, schrieb er darin, seien sie ohnehin immer auf externen Rechtsrat angewiesen, auch bei Geschäften innerhalb Deutschlands. Die Bestrebungen der EU „lehne ich ab“.
Handbuch mit Modellvorschriften
Auch Markus Alfa sieht das Problem an einer anderen Stelle: „Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die Hürden im internationalen Geschäftsverkehr nicht die unterschiedlichen Vertragsrechtssysteme darstellen, sondern die zu hohen Transaktions- und Lieferkosten, Sprachbarrieren und zu hohe Verbraucherschutzstandards.“
Knackpunkt im weiteren Verfahren wird deshalb die Frage sein, wie verbindlich die einheitlichen Regeln später angewendet werden sollen. Die EU-Kommission hat sich noch nicht festgelegt. Sie hat sieben Optionen ausgearbeitet. Die Mittelständler bevorzugen die defensivste Variante, die sogenannte Toolbox. Das wäre nicht mehr als ein Handbuch mit Modellvorschriften des europäischen Vertragsrechts. Die nationalen Gesetzgeber könnten sie in ihre Gesetze mit aufnehmen. Oder auch nicht.
Die EU-Kommission aber bevorzugt eine andere Option. Sie will mittels Verordnung ein eigenständiges, 28. Rechtsregime schaffen, das zusätzlich zu den Rechtsgrundlagen der 27 Mitgliedsstaaten besteht. Das Modell befürwortet auch die Bundesrechtsanwaltskammer. Es hätte den Vorteil, dass es „die Erfordernisse der Praxis erfüllen kann und gleichzeitig die nationalen Rechtsordnungen unberührt lässt“. Firmen könnten zudem die Möglichkeiten der unterschiedlichen Gesetze vergleichen und sich entscheiden, welche sie ihren Geschäften zugrunde legen.
Für europaweit agierende Konzerne kann sich das System rechnen
Für kleine Unternehmen aber klingt das nur nach neuen Problemen. Weil ein 28. Regelwerk in mehreren Sprachen abgefasst werde, sagt Matthias Bergmann, Rechtsreferent beim Fachverband Sanitär Heizung Klima Baden Württemberg, bleibe Raum für Interpretationen – und damit für rechtliche Unsicherheiten. „Wir bezweifeln sehr stark, dass sich ein europäisches Vertragsrecht bei den Unternehmen durchsetzen würde.“ Und da die innerdeutschen Geschäfte natürlich weiter nach deutschem Recht abgewickelt würden, sagt auch Alfa von AWN Stahl, müssten Firmen sogar eine Doppelstruktur etablieren. „Für uns ist das ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand.“
Für Konzerne mit Niederlassungen in ganz Europa und entsprechend automatisierten Prozessen könnte sich Rechtssystem Nummer 28 eher rechnen. Sie stehen der Idee offener gegenüber. In der Stellungnahme an die Kommission bezeichnete beispielsweise Audi die Initiative als „grundsätzlich geeignet, eine einheitliche und faire Basis für Verträge aller Art zu bilden“. Ähnliche Stellungnahmen kamen von Nokia und Ebay.
Die Töne der Mittelständler aber waren von vornherein verhalten. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat ein Votum nach Brüssel geschickt, das sich alles andere als begeistert liest: „Die deutsche Industrie würde es sehr begrüßen“, heißt es darin, „wenn die EU ihre Rechtssetzungsaktivitäten auf das Mindeste beschränken würde, damit Rechtsruhe eintreten kann.“
erschienen 06/2011 in der Financial Times Deutschland