Ein Toter mobilisiert Amerika

Eine Welle der Solidarität erfasst nach dem Tod des Teenagers Trayvon Martin das schwarze Amerika. Die Bürger greifen zu ungewöhnlichen Methoden, um ihren Protest auszudrücken: Der „Hoodie“ ist das Kleidungsstück der Stunde – und Kaubonbons werden zu Protestaccessoires.

Quietschbunte Zuckerperlen sind derzeit in den USA in aller Munde. Viele Amerikaner stopfen sie sich bei Demonstrationen in die Hosentaschen, ein College in Atlanta verkauft sie zu reduzierten Preisen, um die Familie des getöten Teenagers Trayvon Martin zu unterstützen und manche Packungen gehen sogar beim Polizeirevier in Sanford, Florida ein. „Skittles“ heißen die Kaudragees, die zum Protestsymbol werden. Denn es war eine Packung „Skittles“, die der 17-jährige Trayvon Martin Ende Februar in der Hand hielt, als er von einem weißen Nachbarschaftswächter in Sanford erschossen wurde.

Während die Verkäufe des Kaubonbons sprunghaft steigen, steht der Hersteller Wrigley vor einer Marketing-Herausforderung, besser einem handfesten Marketing-Problem: Das Unternehmen muss verhindern, dass die Marke ernsthaften Schaden dadurch nimmt, dass sie mit dem Todesfall in Verbindung gebracht wird. Wrigley trat die Flucht nach vorn an: Eine Sprecherin des Unternehmens erklärte, Wrigley sei „zutiefst betrübt über die Nachricht von Trayvon Martins Tod“. Sie sprach seiner Familie und seinen Freunden im Namen des Unternehmens ihr Beileid aus. Wrigley wolle auf keinen Fall den Eindruck erwecken, aus dieser Tragödie kommerziellen Nutzen zu ziehen.

Wäre das Opfer weiß, säße der Schütze hinter Gittern

Immer mehr Menschen begehren dagegen auf, dass der Mann, der den unbewaffneten afroamerikanischen Jungen erschoss, weiterhin auf freiem Fuß ist. Für viele empörte Bürger ist klar: Wäre es umgekehrt gewesen, wäre das Opfer weiß und der Täter schwarz, dann säße der Schütze jetzt hinter Gittern. Stattdessen ist George Zimmermann weiterhin ein freier Mann.

Der Protest treibt inzwischen außergewöhnliche Blüten. Am Mittwoch trat der schwarze demokratische Senator Bobby Rush, früher Bürgerrechtler, im Capitol mit Kapuzenpulli auf und stellte sich ans Rednerpult. Der „Hoodie“ ist – noch vor den Kaubonbons – zum Zeichen des Protests geworden. Denn Zimmermann hatte bei seiner vorübergehenden Festnahme angegeben, der Junge habe verdächtig auf ihn gewirkt. Auf die Frage nach dem Warum antwortete Zimmermann, der Junge habe einen Kapuzenpulli getragen. Rush wurde des Capitols verwiesen, weil er gegen die Hausordnung verstieß – die besagt, dass man während einer Sitzung keine Kopfbedeckung tragen darf.

Rushs Aktion macht die Politik auf eine Empörungswelle aufmerksam, die im Internet schon lange rollt: Beim Kurznachrichtendienst Twitter laufen minütlich neue Tweets mit Solidaritätsbekundungen ein. Die Spieler des Basketballvereins Miami Heat posieren auf einem auf Twitter veröffentlichten Foto alle im Kapuzenpulli. Was den Protest anheizt, sind radikal-konservative Kommentatoren wie die von Fox News, die Martin eine Mitschuld an seinem Tod geben. Tenor: Wer rumläuft wie ein Gangster, der darf sich nicht wundern, wenn Schüsse fallen. „Hoodies“ gehörten verboten.

Eltern fordern Herausgabe des Obduktionsberichts

Das Vorgehen der Polizei in Sanford, aber auch solche Kommentare führen dazu, dass die Massen aufbegehren. Innerhalb weniger Wochen haben mehr als 2,2 Millionen Menschen die Online-Petition unterschrieben, die von Trayvons Eltern ins Netz gestellt wurde. Sie fordern, dass der Mann, der ihren Sohn erschossen hat, vor Gericht gestellt wird.

Den Auftakt bildete der „March of the Hoodies“ am vergangenen Samstag, bei dem Tausende Amerikaner in Kapuzenpullis auf die Straße gingen, um für Gerechtigkeit und gegen Rassismus zu demonstrieren.

Der Fall beschäftigt mittlerweile nicht mehr nur Florida, sondern das ganze Land. Und am 10. April endlich auch die Justiz. Eine Grand Jury soll sich dann mit dem Fall beschäftigen und entscheiden, ob die Beweise ausreichen um eine Anklage wegen Mordes zu erheben.

Die Eltern von Trayvon Martin fordern jetzt die Herausgabe des Autopsieberichts. Den Reportern der „Washington Post“ erzählte Vater Tracy Martin, dass er seinen Sohn auf einem Polizeifoto vom Tatort identifizieren musste. Er habe keine Verletzungen erkennen können, die von einem Kampf herrührten, so Martin. Dabei hatten die Polizisten ihm erzählt, sein Sohn habe den Nachbarschaftswächter angegriffen und Zimmermann habe ihn in Notwehr erschossen.

Martin und seine Ex-Frau haben den Leichnam schließlich erst nach der Autopsie sehen und sich von Trayvon verabschieden können. Da war er bereits für die Beerdigung vorbereitet und geschminkt. Die Eltern erhoffen sich vom Autopsiebericht weitere Klarheit darüber, ob ihr Sohn den Nachbarschaftswächter tatsächlich angegriffen hat. Die Polizei von Sanford will Medienanfragen mehr beantworten.

erschienen 03/2012 auf ftd.de