Die neue Endlagerdebatte

,
Foto: Demo für Energiewende, 2014, Copyright: Ruben Neugebauer/Campact (via Flickr)

In der Landwirtschaft und einigen Industrien lassen sich Treibhausgase nicht komplett vermeiden. Für den Weg in die Klimaneutralität ist daher die umstrittene CCS-Technologie nötig, sagt Agora-Energiewende-Chef Patrick Graichen. Chancen für CO2-Endlager sieht er in Norwegen.

Klimaneutralität zu erreichen ist ein Kraftakt. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren und der Elektrifizierung aller Sektoren ist es dabei nicht getan. Denn ein kleiner Teil der Emissionen lässt sich trotzdem nicht vermeiden. Um zu verhindern, dass sie in die Atmosphäre entweichen, kann Carbon Capture and Storage (CCS) zum Einsatz kommen: eine Technologie, um CO2 einzufangen und unterirdisch zu entsorgen. CCS spielt in den ambitionierten Plänen der USA eine Rolle, die Emissionen bis 2030 um die Hälfte zu senken. Und auch die jüngst erschienene Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ bezieht CCS in ihre Berechnungen ein.

Es gibt verschiedene Ansätze dazu: Von BECCS etwa ist die Rede, wenn CO2 bei der Verbrennung von Biomasse abgeschieden und eingelagert wird. Wird es mit Hilfe von Ventilatoren aus der Umgebungsluft gesogen, gebunden und eingelagert, spricht man von DACCS.

Kritiker sehen CCS als Laufzeitverlängerung für fossile Technologien

Alle CCS-Technologien haben gemein, dass sie umstritten sind. Denn die Verfahren sind energieintensiv und teuer. Der Berliner Energieforscher Karlo Hainsch kritisierte im Interview mit EnergieWinde, dass CCS die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern noch verlängern könnte. Die Umweltschützer vom Nabu bezweifeln die Sicherheit der Lagerung des CO2 in alten Erdgaslagerstätten oder in salinen Aquiferen (Salzwasser führende Schichten im Untergrund). Greenpeace nennt die Technologie eine „Mogelpackung“, weil die Endlagerung von CO2 wie schon Atommüll „ökologische und wirtschaftliche Altlasten“ für zukünftige Generationen bedeute.

Der US-Klimaforscher Michael E. Mann fasst die Streitlinien in seinem Buch „Propagandaschlacht ums Klima“ so zusammen: „CCS ist attraktiv für Unternehmen der fossilen Industrie, weil es ihnen eine Lizenz gibt, weiterhin fossile Brennstoffe zu fördern und zu verkaufen. Den Klimaaktivisten ist es ein Gräuel, weil die Behauptung von Kohlenstoffneutralität zweifelhaft ist.“

Die Schwierigkeit bei der Klimaneutralität sind die letzten fünf Prozentpunkte, weil man gewisse Emissionen aus der Landwirtschaft und Industrie einfach nicht wegbekommt.

Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende

Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende und einer der Auftraggeber der Studie zur Klimaneutralität 2045, weiß um die Kritik an der Technologie. Deshalb sieht das Konzept CCS nur dort vor, wo es keine Alternative gibt. „Die Schwierigkeit bei der Klimaneutralität sind die letzten fünf Prozentpunkte, weil man gewisse Emissionen aus der Landwirtschaft und Industrie einfach nicht wegbekommt“, sagt Graichen im Gespräch mit EnergieWinde. In der Landwirtschaft betrifft das die Methanemissionen von Tieren und Stickstoffemissionen aus Gülle und Düngemitteln. Auch in der Zementindustrie gibt es bis heute kein Verfahren, das die CO2-Emissionen komplett auf null bringt.

Um zu verhindern, dass diese Emissionen die Erderwärmung befeuern, gibt es zwei Möglichkeiten: sie entweder von sogenannten natürlichen Senken wie Wäldern oder wiedervernässten Mooren aufnehmen zu lassen oder sie durch CCS einzufangen und endzulagern. Durch den Einsatz von CCS können nach Berechnungen der Studie sogar „Negativemissionen“ von zwei Prozent im Jahr 2050 und 3,1 Prozent im Jahr 2045 erreicht werden. CCS dient dann nicht nur zum Ausgleich bestimmter Emissionen, sondern entzieht der Atmosphäre zusätzliches Treibhausgas.

Als vor zehn Jahren erstmals breit über CCS in Deutschland diskutiert wurde, stieß die Technologie auf starken Widerstand. Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg haben bundesweit die besten Voraussetzungen für CO2-Endlager. Nicht nur Peter Harry Carstensen, damals Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, sprach sich 2011 dagegen aus.

Diesmal könnte das anders sein. „Der Widerstand war auch deshalb so groß, weil es damals um CCS für Kohlekraftwerke ging“, sagt Graichen. Umweltverbände sahen darin einen Weg, die Kohle am Leben zu erhalten. Auch Bauern wollten keine Endlager unter ihren Äckern. Die Bundesregierung begrenzte den Einsatz von CCS schließlich auf drei Pilotprojekte, die dann allerdings nicht umgesetzt wurden.

„Wo es Alternativen zu CCS gibt, muss die Alternative eingesetzt werden“

Mitte April forderte nun der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine neue Debatte über die Technologie. „Für einen klimaneutralen und wettbewerbsfähigen Industriestandort Deutschland braucht es eine technologieoffene und transparente Debatte über den effektivsten Weg zu Emissionsminderungen“, sagte der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. CCS sei für die Industrie ein wichtiger Bestandteil bei der Emissionsminderung.

Vorsichtige Unterstützung bekam er von der Naturschutzorganisation WWF. Viviane Raddatz, Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF, sprach davon, CCS für die „letzte Meile“ zu nutzen: für die Emissionen, die sich nicht vermeiden lassen. Im Vordergrund müsse die Vermeidung von CO2 stehen.

Graichen teilt die Einschätzung. „Auch die Umweltverbände sehen mittlerweile, dass es keine Alternative für die fünf Prozent Restemissionen gibt“, sagt er. Um zu vermeiden, dass durch den Einsatz von CCS Klimaziele verschleppt werden, müsse die Bundesregierung eine rigorose CCS-Strategie auflegen: „Überall dort, wo es eine Alternative zu CCS gibt, muss die Alternative gewählt werden. Das heißt: kein CCS in der Stahl- oder Chemieindustrie. Nur wenn die Regierungspolitik glaubhaft ist, findet sie Unterstützung.“

Kann CCS den Riesen des fossilen Zeitalters ein neues Geschäftsmodell bieten?

Die fossile Industrie, von ambitionierten Klimazielen zunehmend bedrängt, erhofft sich von CCS ein neues Geschäftsfeld. Der Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) schlägt vor, leere Gas- und Öllagerstätten für die Einlagerung zu nutzen. Große Energiekonzerne wie BP passen ihr Geschäftsmodell ebenfalls an: Der britische Ölriese will in Großbritannien im großen Stil CO2 abfangen und einlagern.

Graichen beurteilt solche Pläne nüchtern. „Für die CO2-Abscheidung brauchen wir die großen Unternehmen eigentlich nicht. Was bleibt, ist das Runterpumpen in leere Gasfelder oder in noch tiefere Gesteinsformationen.“ Die großen Öl- und Gaskonzerne verfügen über die notwendige Expertise und das Material dafür.

Und wenn das CO2 entweicht? Graichen plädiert für eine geteilte Haftung

Bleibt die Frage nach dem Ort der Lagerung. In Europa kommen dafür vor allem Gasfelder unter der Nordsee in Frage: Die Öl- und Gaspipelines, durch die heute noch fossiler Brennstoff fließt, könnten künftig CO2 zurück in die unterirdischen Speicher transportieren. Ein solches Projekt läuft bereits in Norwegen, das damit zum CO2-Einlager Europas werden will. Schon heute werden bei Hammerfest jährlich 700.000 Tonnen CO2 abgeschieden und unter dem Meeresgrund gespeichert.

Trotzdem bleibt die Sorge, wie sicher eine solche Lagerung ist. „Dabei stellt sich auch eine Haftungsfrage“, sagt Graichen. „Wer ist verantwortlich, wenn CO2 entweicht und Schäden in der Umwelt anrichtet? Wer muss die CO2-Kosten tragen?“ Graichen plädiert für einen EU-weiten Regulierungsrahmen, der die Risiken nicht allein auf Norwegen als Dienstleister für CO2-Endlager beschränkt, sondern fair verteilt. Die Diskussion um CCS: Sie nimmt gerade neue Fahrt auf.

(Energiewinde.de)