Bremsen, blockieren, verdrehen

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Früher haben Klimaschutzgegner die Erderwärmung schlicht geleugnet, heute bremsen sie stattdessen die Klimapolitik aus. Dabei greifen sie auf vier Argumentationsmuster zurück. Das Perfide: Sie enthalten ein Körnchen Wahrheit.

Fünf Jahre nach dem als „historisch“ gefeierten Klimagipfel von Paris macht sich Ernüchterung breit. Trotz der weitreichenden Beschlüsse zur Verringerung des CO2-Ausstoßes ist wenig passiert. Anfang des Jahres zogen Jugendliche von Fridays for Future deshalb sogar vor das Bundesverfassungsgericht: Die Regierung verletze durch ihre Untätigkeit ihre Pflicht zum Schutz der Bürger.

Tatsächlich geht es in der Klimagesetzgebung nur in Trippelschritten voran. Genauso sieht es bei freiwilligen Selbstverpflichtungen der Industrie aus. In Teilen ist das der komplexen Materie geschuldet – es braucht eben Zeit, ein ganzes Land auf den Klimapfad zu bringen.

Doch das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere ist, dass die Energiewende von interessierter Seite bewusst ausgebremst wird: Widerstand gegen Klimaschutz funktioniert heute weniger durch das Leugnen der Erderhitzung, sondern durch Verzögern von Klimagesetzen. Sozialwissenschaftler des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC haben analysiert, mit welchen Strategien das passiert. Ihr Artikel ist im Juli im Journal „Global Sustainability“ erschienen.

Die vier Argumentationsmuster der Klimaschutzgegner

Für ihre Studie haben die Forscher öffentliche Statements, Diskussionsbeiträge und Artikel aus Politik, Wirtschaft und Medien untersucht. Dabei konnten sie zwölf Argumentationsmuster identifizieren, die sich in vier Kernbehauptungen unterteilen lassen:

  1. Zunächst muss jemand anderes handeln.
  2. Klimaschutz funktioniert auch ohne grundlegende, disruptive Veränderungen.
  3. Konsequente Klimapolitik ist politisch und sozial nicht vertretbar.
  4. Umsteuern ist nicht mehr möglich.

Vom Tisch weisen kann man die vorgebrachten Argumente nicht einfach, sagt William Lamb, Forscher in der MCC-Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung und Leitautor der Studie: „Das Vertrackte daran ist, dass in allen solchen Einlassungen immer auch ein Körnchen Wahrheit steckt. Aber diese durchaus relevanten Aspekte der Klimadebatte werden oft zu Instrumenten der Verhinderungsstrategie, die darauf zielt, einschneidende Maßnahmen abzuwenden und materielle Besitzstände auf kurze Sicht zu schützen.“

Los geht es schon bei der Frage, wer eigentlich Klimaschutzmaßnahmen ergreifen muss: Staaten als Ganzes, Unternehmen, jeder Einzelne?

Die Individualismus-Strategie verlagert den Fokus von einer Organisation oder einem Unternehmen auf die Verantwortung jedes Einzelnen und weist auf persönliche Konsum-Entscheidungen. Das verklärt oder ignoriert die Rolle der Unternehmen oder Organisationen, die diese Konsumentscheidungen beeinflussen: Statt die eigene Rolle bei der Ölförderung kritisch zu diskutieren, betreibt der Energiekonzern BP die Social-Media-Kampagne „Kenne deine CO2-Bilanz“, bei der Interessierte ihren ökologischen Fußabdruck berechnen können. Die Wissenschaftler zitieren BP: „Unsere „Kenne deine CO2-Bilanz“-Kampagne hat eine erfolgreiche Erfahrung geschaffen, die Menschen nicht nur befähigt ihre jährlichen CO2-Emissionen zu ermitteln, sondern ihnen auch einen unterhaltsamen Weg gab, darüber nachzudenken wie sie ihn reduzieren können – und ihr Versprechen mit der Welt zu teilen.“

Ähnlich effektiv funktioniert der „Und was ist mit …“-Diskurs, bei dem die Akteure mit dem Finger auf andere zeigen, die zuerst handeln müssten, bevor man selbst dazu aufgefordert sei. Das geschieht etwa auf politischer Ebene, wenn Staaten auf Chinas hohe Emissionen verweisen. Damit verwandt ist die Argumentationsstrategie, der zufolge man am Ende mit den Maßnahmen allein dastehe, weil andere Länder oder Unternehmen nicht mitzögen.

Fossile Brennstoffe werden vom Problem zum Teil der Lösung umgedichtet

Auch die Frage, mit welchen Mitteln der Klimaschutz erreicht werden soll, wird für Blockaden und Verzögerungen missbraucht. Beliebt ist das Argument, fossile Brennstoffe seien Teil der Lösung. Die Forscher zitieren in ihrer Studie Mohammed Barkindo, den Generalsekretär der internationalen Organisation der ölfördernden Länder, OPEC. Er pries fossile Brennstoffe als „Teil der Lösung für die Geißel des Klimawandels“ an. Die Industrie bemüht indes Schlagworte wie „saubere Energie“ und verknüpft sie mit emotionalen Werbebotschaften, die den Konsumenten vergessen lassen sollen, dass weder die Förderung noch die Verbrennung von Öl und Gas sauber sind.

Die andere Seite der Medaille ist der bedingungslose Glaube an Zukunftstechnologien, den die Wissenschaftler um William Lamb „technologischen Optimismus“ nennen. Damit wird die Erwartung geweckt, dass die Lösung für den Klimaschutz in der nahen Zukunft liegt. Sehr schneller technologischer Fortschritt soll das Ruder herumreißen, zum Beispiel indem Treibhausgase bald schon in der Atmosphäre eingefangen werden.

Nicht selten verbreiten Politiker diese Nachricht. Etwa der konservative britische Gesundheitsminister: Er verneinte die Frage, ob man angesichts der Klimakatastrophe weniger fliegen sollte und schob nach, Technologie sei der Weg, um Emissionen zu vermeiden: „Ich höre, dass elektrische Flugzeuge schon am Horizont zu sehen sind.“

Kurzfristige Nachteile werden gegen langfristige Vorteile ausgespielt

Besondere Schlagkraft hat auch die Behauptung vom gesellschaftsschädigenden Klimaschutz. Indem soziale Aspekte in den Vordergrund gestellt werden, können in der Öffentlichkeit Angst und Ablehnung geschürt werden. Klimaschutz dürfe nicht zulasten von Wirtschaftswachstum und Jobs gehen, warnte etwa Wirtschaftsminister Peter Altmeier. Die Sozialwissenschaftler um Lamb argumentieren, dass solche Sorgen durchaus einen wahren Kern haben. Sie stellen jedoch oft nur kurzfristige, unmittelbar drohende Nachteile in den Fokus und blenden langfristige Veränderungen zum Positiven aus. Etwa die Frage, wie sich Klimaschutzmaßnahmen in der Zukunft auf die öffentliche Gesundheit, neue Jobmöglichkeiten und die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Regionen auswirken.

Nicht zuletzt finden sich diese Verzögerungsstrategien auch in den Medien: Angesichts pessimistischer wissenschaftlicher Studien, Blockadehaltungen von Politikern oder Lobbyarbeit der Industrie kann der Kampf für Klimaschutz aussichtslos wirken. Es ist das „Es ist sowieso zu spät“-Szenario, das hier wirkt.

Die MCC-Forscher zitieren in ihrer Studie einen Leitartikel in der „New York Times“: „Um den Ausstoß von Kohlenstoff innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre komplett zu stoppen, müssten wir alle wirtschaftlichen und sozialen Produktionen radikal neu orientieren, eine Aufgabe die kaum vorstellbar und noch weniger machbar ist.“ Nach Ansicht der Wissenschaftler ignorieren die Medien damit ihre Aufgabe, den öffentlichen Diskurs voranzutreiben und mitzugestalten. „Statt nach Lösungen zu suchen, um durch diese Schwierigkeiten zu kommen, rät die ,Veränderung ist unmöglich‘-Strategie zum Aufgeben und zur Anpassung an den Klimawandel“, schreiben sie in ihrem Artikel.

Gegen verdrehte Tatsachen helfen Transparenz und Ehrlichkeit

Die einzelnen Argumentationsmuster, schlussfolgern die Forscher, bringen legitime Sorgen oder Ideen zum Ausdruck. Doch wenn sie dazu dienen, Tatsachen zu verdrehen, Widerstand gegen Klimaschutzmaßnahmen zu wecken oder verhindern, überhaupt Maßnahmen zu ergreifen, werden sie als Verzögerungstaktiken missbraucht.

Die Forscher raten zu Transparenz und einer ehrlichen, offenen Kommunikation. Die Gesellschaft muss für Falschinformationen sensibilisiert und in die Suche nach Lösungen für den Klimaschutz einbezogen werden. Nur so wird in der öffentlichen Debatte deutlich, dass Klimaschutz nicht nur notwendig, sondern auch realisierbar ist.

„Es sind Ablenkungsstrategien“: Das Interview mit William Lamb über seine Forschung.

(energiewinde)