Wo alles Schreien nichts nützt

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Alcatraz Island (Flickr)

Krankenhäuser, Hotels, verlassene Burgen – es gibt Orte, die Besucher das Fürchten lehren. Einer der unheimlichsten Orte Amerikas ist die Gefängnisinsel Alcatraz, nicht nur der einst furchtbaren Haftbedingungen wegen.

Stundenlang drangen die gellenden Schreie aus Zelle 14-D. „Lasst mich hier raus! Ich werde angegriffen“, bettelte die Stimme immer wieder. „Ich sehe glühend rote Augen.“ Doch die Aufseher dachten gar nicht daran, den Insassen aus seiner Zelle zu lassen: Das hier war Alcatraz, noch dazu der Isolationstrakt. Allein, nur von Dunkelheit und Kälte umgeben, saßen die Gefangenen wochen-, manchmal jahrelang in ihren Zellen. Einige fingen unter diesen Umständen an zu fantasieren. Doch alles Schreien nützte nichts – die Tür blieb zu. Mitten in der Nacht verstummten die Hilferufe schließlich.

Als die Aufseher die Zellentür am nächsten Morgen öffneten, fanden sie den Gefangenen leblos. Er hatte seltsame Würgemale am Hals. Eine Untersuchung ergab, dass er sie sich nicht selbst zugefügt haben konnte. Mancher behauptete, die Aufseher hätten den Gefangenen erdrosselt. Andere glaubten an einen bösen Geist im Gefängnis.

Der rätselhafte Tod des Häftlings ist nur eine von vielen unheimlichen Geschichten, die sich um die Gefängnisinsel ranken. Schon Autor Mark Twain beschrieb die Atmosphäre der Haftanstalt nach einem Besuch als „so kalt wie der Winter, sogar in den Sommermonaten.“ Tatsächlich gilt Alcatraz in der San Francisco Bay als einer der schaurigsten Orte Amerikas.

Böse Geister auf der Insel

Das lockt Neugierige an: Unzählige Touristen touren durch die Gefängnismauern. Und immer wieder zieht es selbsternannte Geisterjäger und Menschen, die angeblich mit Verstorbenen kommunizieren, auf die Insel. Sie alle berichten von unheimlichen Begebenheiten: unerklärliche Temperaturschwankungen, mysteriöse Geräusche, geisterhafte Berührungen.

Schon Amerikas Ureinwohner sollen geglaubt haben, dass auf dieser Insel böse Geister ihr Unwesen trieben, schreibt Jerry Lewis Champion in seinem Buch „Alcatraz Unchained“. Die Ohlone-Indianer, die bis zur Ankunft der Spanier 1775 rund 10.000 Jahre die kalifornische Küste besiedelten, sollen laut der Autoren von „Legends of America“ Stammesangehörige dorthin verbannt haben, die gegen Regeln der Gemeinschaft verstoßen hatten. Spätere Knochenfunde lassen vermuten, dass die Ausgestoßenen auf der Insel starben und begraben wurden.

Der spanische Entdecker Juan Manuel de Ayala benannte den felsigen Fleck in der Bucht von San Francisco 1775 nach den unzähligen Pelikanen, die dort lebten: Isla de Alcatraces. Einen Fuß setzte er jedoch nie auf die Insel: er fand sie unbewohnbar. Mitte des 19. Jahrhunderts bekam die Insel zunächst einen Leuchtturm – den ersten der amerikanischen Pazifikküste – und dann ein Gefängnis. Während des amerikanischen Bürgerkriegs beherbergte es die ersten Gefangenen: Soldaten der Konföderierten-Armee wurden zu furchtbaren Bedingungen in Verliesen eingekerkert, was einige nicht überlebten. Zur Jahrhundertwende waren die Zustände so katastrophal, dass das Gefängnis geschlossen wurde.

Neue Adresse von Amerikas größten Gangstern

Nachdem die Regierung Anfang der Dreißigerjahre Mafiagangs den Krieg erklärt hatte, kam ihr das raue Eiland umgeben von eisigem Wasser und starken Strömungen gerade recht: Ein 1911 errichteter Neubau wurde zum Hochsicherheitsgefängnis umgerüstet. 1934 wurde Alcatraz zur neuen Adresse von Amerikas furchteinflößendsten Gangstern: Al „Scarface“ Capone und George „Machine Gun Kelly“ Barnes, Robert Stroud, bekannt als „The Birdman“ und Alvin „Creepy“ Karvis saßen dort ihre Strafe ab.

Schon bald meinten erste Gefangene, Stimmen zu hören, rätselhafte Umrisse und Schatten zu sehen. Waren es die Geister der verbannten Indianer? Oder die gnadenlosen Haftbedingungen, die den Gefangenen den Verstand raubten?

Die Häftlinge hausten in winzigen Einzelzellen und hatten strenges Redeverbot: In Alcatraz herrschte geisterhafte Stille, nur durchbrochen von den hallenden Schritten der Aufseher, dem metallenen Rattern beim Öffnen und Schließen der Zellentüren und dem Klirren von Schlüsseln und Ketten. Wer gegen die Gefängnisordnung verstieß, endete in Isolationshaft im berüchtigten D-Block: Ohne Licht und Kleidung harrten die Gefangenen aus und konnten ihre Notdurft nicht einmal in einer Toilette verrichten.

Stechender Schmerz im Nacken

Selbst hartgesottene Gangster verloren unter diesen Umständen ihre Fassung. Am 13. November 1937 schnitt sich Edward Wutke in seiner Zelle mit der Klinge eines Bleistiftanspitzers die Halsschlagader auf – der erste Selbstmord seit der Eröffnung des Hochsicherheitsgefängnisses. Auch Al Capone war nach seiner Freilassung nicht mehr derselbe: Sein Geisteszustand hatte erheblich gelitten. „Hellcatraz“ nannten Insassen die Insel.

Vielleicht sind es ihre gemarterten Seelen, die bis heute durch die Gefängnismauern geistern, wenn Besucher etwa zu hören meinen, dass darin jemand ein Banjo zupft. Hatte nicht Al Capone dieses Instrument während der Haftzeit gespielt und mit dem Gefangenenorchester regelmäßig Konzerte für die anderen Insassen gegeben?

Aus der ehemaligen Näherei hören manche noch immer das Summen der Nähmaschinen, obwohl die Geräte längst aus den Räumlichkeiten entfernt wurden. Und einigen Besuchern läuft in der Wäscherei ein kalter Schauer über den Rücken; ein Medium verspürte sogar einen stechenden Schmerz im Nacken – bemerkenswert, denn nicht im Speisesaal, wie der Film „Murder in the First“ darstellt, sondern in der Wäscherei hatte Henry Young einst seinen Mithäftling Rufus McCain erstochen.

Selbst hartnäckige Grusel-Leugner können sich den Geistern von Alcatraz offenbar nicht entziehen: Radiomoderator Ted Wygant glaubte nicht an Paranormales, bis er sich 1982 zusammen mit Medium Jeanne Borgen eine Nacht in Alcatraz einsperren ließ. Bis drei Uhr morgens blieb die Nacht ereignislos und Wygant lief mit seiner Begleitung zunehmend müder und mürrischer durch die verlassenen Gemäuer. Bis ihn in einem der Korridore ein starkes Hassgefühl überkam und nicht mehr losließ.

Vor Wut bereit zu töten

Minutenlang fühlte er, dass mit ihnen noch jemand in der Dunkelheit war. „Ich erinnere mich, dass ich dachte: Wenn ich eine Waffe hätte, würde ich in diese Richtung schießen“, berichtete Wygant den Reportern der TV-Doku „Places of Mystery“. Borgen sah sein wutverzerrtes Gesicht, hörte ihn hasserfüllt schreien und erinnerte sich: „Das war nicht der Ted, den ich kannte.“ Sie selbst wurde von einer solchen Wut überkommen, dass sie nach eigenen Angaben bereit gewesen wäre, Wygant zu töten, um aus dem Korridor zu entkommen.

Der Ort, an dem die beiden von der starken negativen Energie ergriffen wurden, war die Endstation des blutigsten Ausbruchsversuches von Alcatraz: 1948 hatte eine Gruppe von sechs Häftlingen es geschafft, sich aus ihren Zellen zu befreien und zu bewaffnen. Während drei von ihnen aufgaben und sich in ihre Zellen zurückzogen, wurden Bernard Coy, Joseph Cretzer und Marvin Hubbard im Korridor in die Enge getrieben. Die Aufseher warfen Handgranaten in den engen Gang, aus dem es kein Entkommen gab. Die Häftlinge starben – und haben offenbar noch eine Rechnung offen.

Das Gefängnis hat seit mehr als 50 Jahre ausgedient. Die letzten 27 Häftlinge verließen die Insel am 21. März 1963. In einer stummen Prozession liefen sie durch die Korridore, hinaus in den Hof und durch das Tor bis zur Inselküste. Mit einer kurzen Bootsfahrt ließen sie den unheimlichen Ort hinter sich.

Doch Alcatraz hat bis heute nichts von seiner schaurigen Macht verloren: Im April 2014 besichtigte laut einem Bericht der „Daily Mail“ ein britisches Paar die Gefängnisinsel. Sheila Sillery-Walsh stoppte an einer Zellentür, um durch eines der kleinen Fenster ein Foto zu machen. Als sie auf ihr Handydisplay sah, sei hinter dem Fenster der geisterhafte Umriss einer Frau zu erkennen gewesen.