Windräder als Hurrikan-Bremse

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(Flickr)

Ein Team um Stanford-Professor Mark Z. Jacobson hat errechnet, dass Offshore-Windräder Hurrikans abschwächen könnten. Allerdings wären dafür Zehntausende Anlagen nötig. Der Forscher hält es trotzdem für möglich.

Harvey, Irma, Jose, Maria: Die Hurrikan-Saison 2017 hielt Amerika und die Karibik in Atem. Die immensen Kräfte solcher Stürme verursachen verheerende Schäden – könnten aber auch Unmengen Elektrizität produzieren, wenn sie auf Offshore-Windparks träfen.

Forscher der renommierten Stanford-Universität in Kalifornien gehen allerdings noch einen Schritt weiter. Sie sagen, dass Windräder auf See sogar Wirbelstürme abschwächen und die Küste schützen können. Energie-Winde hat darüber mit Mark Z. Jacobson gesprochen, dem Leiter der Studie.

Mr. Jacobson, In Ihrem Modell haben die Windräder unterschiedlichen Einfluss auf Sandy und Katrina. Wieso fallen die Resultate so verschieden aus?
Mark Z. Jacobson: Sandy und Katrina waren sehr ungleiche Hurrikane. Sandy war ein sehr großflächiger Sturm, bei dem sich die Kraft verteilte, sodass der Hurrikan insgesamt schwächer ausfiel. Katrina war auf eine kleinere Fläche konzentriert und damit viel intensiver. Setzt man für beide Stürme die gleiche Anzahl Windräder an, haben sie einen stärkeren Einfluss auf Katrina, weil sich alle Turbinen direkt im Pfad des Sturmes befinden. Sandy hingegen ist ausufernder, somit können die Windräder weniger ausrichten. Außerdem hatte Sandy aufgrund der schieren Größe langsamere Winde. Deshalb fällt der Effekt der Windräder schwächer aus.

Wie beeinflussen die Windräder einen Hurrikan?
Jacobson: Der größte Nutzen liegt darin, dass Windräder die Windstärke reduzieren. Weil starke Winde die Wellen aufpeitschen, hat das unmittelbaren Einfluss auf die Höhe der Flutwelle.

Und wie genau tun sie das?
Jacobson: Wenn ein Hurrikan in vollem Gang ist, bewegen sich die Winde kreisförmig. Die vom Wind aufgepeitschten Wellen erzeugen eine starke Reibung an der Oberfläche, die die Winde leicht nach innen lenkt. Sie zirkulieren nach innen, bis sie auf das Auge des Sturmes treffen. Sie können jedoch nicht ins Auge eintreten, weil sie sich zu schnell bewegen.

Man muss sich das wie bei einem Rennfahrer vorstellen: Er kann sich nicht mit 200 Meilen pro Stunde auf der Stelle drehen, dabei würde er sich überschlagen. Bei so hohen Geschwindigkeiten fährt er immer um einen gewissen Punkt herum.

Genau das Gleiche passiert mit den Winden bei einem Hurrikan: Sie bewegen sich wahnsinnig schnell ins Innere, aber dann zirkulieren sie aufwärts um das Zentrum. Weiter oben gibt es noch schnellere Winde, die die Luft regelrecht heraussaugen. Dadurch werden mehr Winde nach oben gezogen, um die entwichene Luft zu ersetzen. Dieser Vorgang führt dazu, dass der Luftdruck im Auge drastisch sinkt – und zwar solange, wie die Luft oben schneller entweicht als sie unten nachfließt. Das wiederum stärkt die Winde an der Oberfläche, weil der Luftdruck im Auge des Sturms niedrig ist, außerhalb aber höher. Dieser Unterschied treibt die Winde an, die dann höhere Wellen kreieren, die wiederum mehr Reibung an der Oberfläche erzeugen und mehr Winde ins Auge des Hurrikans lenken.

Bringt man die Windräder in dieses Szenario ein, reduzieren sie die Windstärke im äußeren Umfeld des Hurrikans, indem sie dem Wind Energie entziehen und in Elektrizität umwandeln. Durch die schwächeren Winde wird die Wellenhöhe reduziert und damit deren Reibung, sodass der Kreislauf des Windes ins Innere des Wirbelsturms schwächer wird. Als Resultat steigt der Druck im Auge des Sturms, weil weniger Luft nach oben transportiert und aus dem Auge gezogen wird. Der höhere Luftdruck im Inneren entzieht den Winden ihre Stärke, so dass sich der gesamte Kreislauf abschwächt.

Kann ein Wirbelsturm die Windräder nicht einfach zerstören?
Jacobson: Die Windräder schützen sich gegenseitig. Je mehr Windräder da sind, desto stärker ist ihr Effekt auf den heranziehenden Hurrikan. Die Windräder schwächen den Wirbelsturm von außen nach innen, bereits wenn er sich zu nähern beginnt. Trifft er dann schließlich auf die Windräder, ist er schon zu schwach um sie zu zerstören.

In unserem Modell haben wir mit den üblichen Windrädern kalkuliert, die sich bei einer Windstärke von 33 Metern pro Sekunde abschalten und Windstärken bis 50 Meter pro Sekunde standhalten. Im Falle von Katrina waren sie so effektiv, dass die Winde nie 50 Meter pro Sekunde erreichten. Und mittlerweile kann man problemlos größere Anlagen mit stärkeren Motoren bauen, um auf Nummer sicher zu gehen.

Wir wissen von herkömmlichen Anlagen, die extreme Wetterlagen überstehen. Das zeigen Windparks in der Nordsee, die regelmäßig schweren Unwettern ausgesetzt sind.

Über wie viele Windräder sprechen wir hier?
Jacobson: Jegliche Anzahl von Windrädern wirkt sich positiv aus. Je mehr man hat, umso besser ist es natürlich.

In unsrerem Masterplan für die Energiewende, bei dem 100 Prozent der Energie in den USA aus sauberen Energiequellen stammen, sind 15 bis 20 Prozent davon für durch Offshore-Windparks vorgesehen. Nach unseren Berechnungen bräuchten wir dafür rund 200.000 Windräder entlang der Küsten.

Man würde nicht alle direkt vor New Orleans oder New York platzieren. Die Chancen, dass ein Sturm auf genau diesen Park trifft, sind zu gering. Außerdem konkurrieren sie um die gleichen Winde, wenn sie nah zusammenstehen. Es ist also schlauer, sie verteilt aufzustellen. Idealerweise teilt man sie in Cluster zu 10.000 oder mehreren Tausend auf.

Das sind unglaubliche Zahlen. Bliebe bei so vielen Windrädern überhaupt noch Platz für Schiffsverkehr?
Jacobson: Ja, denn die Turbinen würden nicht alle entlang der Küstenlinie stehen, sondern sich in den einzelnen Clustern hinaus aufs Meer erstrecken.

Wie weit wären die Parks von der Küstenlinie entfernt?
Jacobson: Sie können weit genug entfernt sein, dass man sie nicht sieht. Wenn die erste Reihe Windräder fünf bis sieben Kilometer von der Küste entfernt ist, haben sie für den Betrachter etwa die Größe eines Daumennagels. An den meisten Tagen ist so viel Seesalz in der Luft oder es ist so bewölkt, dass die Sicht nicht bis in diese Entfernung reicht. Und mittlerweile gibt es schwimmende Windräder, die nicht mehr fest im Meeresboden verankert werden müssen, sondern bewegt werden können.

200.000 Windräder kosten doch Unsummen?
Jacobson: Nicht im Vergleich zu den aktuellen Energiequellen: In den USA liegen die direkten Kosten derzeit bei etwa 13 Cent pro Kilowattstunde und 30 Cent pro Kilowattstunde in Gesundheits- und Klimakosten. Offshore-Windparks haben nur die Direktkosten.

Hinzu kommt, dass die Parks durch ihren Effekt auf Hurrikans auch deren immense finanzielle Schäden reduzieren. 2017 verursachte extremes Wetter in den USA 300 Milliarden Dollar Schaden. Diese Summe entfällt nicht allein auf Wirbelstürme, aber durch den Effekt der Windparks könnte man einen guten Teil davon vermeiden.

Man muss im Hinterkopf behalten, dass die Windräder aufgestellt werden, um hauptsächlich Energie zu erzeugen – ihre Wirkung auf Hurrikans sind nur ein positiver Nebeneffekt.

Aktuell ist die Block Island Windfarm vor Rhode Island der einzige Offshore-Windpark in den USA. Wie realistisch ist es, dass eines Tages tatsächlich 200.000 Windräder entlang der Küste stehen?
Jacobson: Vom technischen und auch vom ökonomischen Standpunkt aus ist es definitiv umsetzbar. Es liegt in der Macht der Bundesstaaten, die eine Küstenlinie haben.

Der Bundesstaat New York hat gerade ein Programm vorgestellt, demzufolge Hunderte Turbinen entlang Long Island aufgestellt werden. Einige Unternehmen arbeiten bereits an Anträgen für weitere Windparks, aber dieser Prozess dauert eine Weile.