Wie ein Fisch an Land

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(Flickr)

Kinderstar und Sexsymbol, Saubermannimage und Drogentod: River Phoenix lebte ein kurzes Leben voller Widersprüche. Vor 25 Jahren starb der außergewöhnliche Jungschauspieler.

Gegen Mitternacht am 31. Oktober 1993 halfen Clubbesucher einem jungen Mann aus dem „Viper Room“ in Los Angeles. Kaum an der frischen Luft, sank er am Sunset Strip zu Boden und kollabierte, von schweren Krämpfen geschüttelt. Er verlor das Bewusstsein, die Augen unnatürlich verdreht, seine Arme zuckten wild. „Er zappelte wie ein Fisch an Land“, sagte ein Augenzeuge.

Panisch wählte ein Begleiter den Notruf: „Er hat Krampfanfälle. Kommen Sie her bitte, bitte kommen Sie her! Bitte, er stirbt, bitte!“

Als die Sanitäter eintrafen, war der Mann bereits ohne Puls und Blutdruck. Auf der eiligen Fahrt zu einer nahen Klinik versuchten sie, sein Herz wieder zum Schlagen zu bringen. „Jetzt komm schon, River“, stieß einer der Notfallhelfer hervor. Sanitäter Ray Ribar wunderte sich, woher sein Kollege den Patienten kannte. Im Krankenhaus erklärten Ärzte der Notaufnahme ihn um 1.51 Uhr für tot.

Bald erfuhren Ribar und die Welt, wen er da zu retten versucht hatte: Schauspieler River Phoenix. Nach 14 Filmen in elf Jahren galt er als einer der talentiertesten Jungstars. Er hatte bereits eine Oscarnominierung und sollte in wenigen Wochen mit dem Dreh zu „Interview mit einem Vampir“ beginnen. Doch sein Leben fand in dieser Nacht vor 25 Jahren auf dem Bordstein am Sunset Strip ein jähes Ende.

River Phoenix wurde nur 23 Jahre alt – ein Schock für die Filmwelt und seine Fans. Eine Untersuchung ergab zunächst keine klare Todesursache. Gerüchte kursierten: Aus dem Notruf von Rivers jüngerem Bruder Joaquin Phoenix ging hervor, dass der Schauspieler eventuell Valium genommen hatte. Einer der Sanitäter beschrieb die Symptome als typisch für eine Kokainüberdosis.

Drei Wochen später bestätigte der toxikologische Report: River Phoenix hatte Kokain und Morphin – vom Körper abgebautes Heroin – im Blut. Nachgewiesen wurden zudem Spuren von Marihuana, Valium sowie Ephedrin, einem Inhaltsstoff von Erkältungsmedizin. „Die Kokain- und Morphinlevel waren beide hoch genug, dass jeder für sich tödlich gewesen wäre“, zitierte die „Los Angeles Times“ die Gerichtsmediziner.

Mit Hippie-Eltern unterwegs

Wie konnte das sein? River Phoenix aß vegan, verweigerte Lederkleidung, engagierte sich für Tierrechte, Umwelt- und Klimafragen. Über Drogen hatte er noch 1990 gesagt: „Ich mag es nicht mal, darüber zu reden.“ Es war nicht der einzige Widerspruch im Leben des Millionärs, der schon als Kind für seine Familie Geld verdienen musste.

Geboren wurde er am 23. August 1970 in Madras (Oregon). Seine Eltern John und Arlyn Bottom nannten ihn River Jude: nach dem Fluss des Lebens in Hermann Hesses Roman „Siddhartha“ und nach „Hey Jude“, dem Beatles-Song von 1970. Die Eltern waren Hippies, River bekam vier Geschwister: Rain, Joaquin, Liberty und Summer.

Auf ihren Reisen schlossen sich John und Arlyn der religiösen Gruppe „Children of God“ an. Obwohl Arlyn aus einer jüdischen Familie in der New Yorker Bronx stammte, nahm sie den christlichen Glauben an und engagierte sich wie ihr Ehemann stark für die Evangelikalen. 1973 zog das Paar mit River und der gerade geborenen Rain nach Caracas, um in Venezuela für die „Children of God“ zu missionieren.

Geld verdienten sie als Erntehelfer. Weil das nicht reichte, spielten der fünfjährige River und seine zwei Jahre jüngere Schwester Rain auf der Straße Gitarre und sangen. Als der Anführer der „Children of God“ pädophile Neigungen zu propagieren begann, wandten sich John und Arlyn ab. Bald darauf ermittelte das FBI wegen Kindesmissbrauchs gegen die Sekte.

Die Familie ließ sich in Gainesville (Florida) nieder. Nach ihrer Abkehr von der Sekte legten John und Arlyn sich den neuen Familiennamen Phoenix zu – nach dem Vogel, der aus seiner eigenen Asche wieder aufersteht.

Erneut hielten River und seine Geschwister die Familie als Straßenmusiker über Wasser und machten auch bei Talentwettbewerben mit. Nach erster Neugier der Lokalpresse entschieden John und Arlyn, ihren Kindern eine Showbiz-Karriere zu ermöglichen. Sie zogen nach Kalifornien, Arlyn bewarb sich für einen Bürojob bei NBC und meldete ihren ältesten Sohn zu Castings an.

„Er war nicht vorbereitet für die Welt“

Wenn River nicht auf der Straße sang, drehte er Werbespots. Ab der fünften Klasse ging er nicht mehr zur Schule. Religiöse und ideelle Überzeugungen blieben der Familie immer wichtig. „Ich liebe Rivers Familie“, sagte Rivers Ex-Freundin Martha Plimpton später. „Sie haben ihn erzogen in dem Glauben, dass er eine reine Seele ist, die eine Botschaft für die Welt da draußen hat. Aber sie kreierten diese Blase, in der River nie wirklich sozialisiert wurde. Er war nicht auf die Massen und Hollywood vorbereitet, auf die Welt, in der er diese Botschaft verbreiten sollte.“

1982 spielte River in der Musical-TV-Show „Seven Brides for Seven Brothers“. Die Serie wurde bald eingestellt, doch River bekam neue Rollen. Schon mit seinem zweiten Film überzeugte er Kritiker: Mit 15 verkörperte er den jungen Chris Chambers, der mit drei Freunden in „Stand By Me“ das Verschwinden eines Jungen aufklärt. Im selben Jahr spielte er neben Harrison Ford in „The Mosquito Coast“ und machte mächtig Eindruck bei seinem Filmvater.

Die Beziehung zum eigenen Vater wurde schwieriger. Als Teenager war River der Hauptverdiener der Familie, kaufte ihr in den späten Achtzigern ein Anwesen in Florida und Land in Costa Rica. Am Set aber blieb Vater John sein Vormund bis zur Volljährigkeit. River rebellierte mit kleinen Gesten: Passte John nicht auf, stopfte sich der sonst vegan lebende Jungstar Schokoriegel in den Mund und spülte sie mit Cola runter.

Ein scheuer, authentischer Jungstar

Beruflich ging es ab 1985 stetig bergauf. Für „Running On Empty“ erhielt Phoenix Nominierungen für einen Oscar und einen Golden Globe als bester Nebendarsteller. Regisseur Steven Spielberg castete ihn 1989 als jungen Indy in „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“.

Der wohl größte Erfolg war 1991 „My Own Private Idaho“: An der Seite von Keanu Reeves spielte River Phoenix den jungen Mike, der sich auf den Straßen von Portland prostituiert. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Mikes Mutter und reisen bis nach Italien. Das Roadmovie gilt als Begründer des Queer Cinema und genießt in der Szene Kultstatus.

Die für sein Alter ungewöhnlich sensiblen, authentischen Darstellungen begeisterten Publikum und Kritiker gleichermaßen. Naomi Foner, Drehbuchautorin für „Running on Empty“, entdeckte in Phoenix‘ lückenhafter Bildung einen Vorteil als Schauspieler – was ihm an Wissen fehle, mache er mit Naivität und Unschuld wett. „Einer der Gründe, weshalb er so talentiert war: weil er Dinge nicht großartig verarbeitete oder in seinem Kopf durchspielte, wie es zu sein hatte.“

Phoenix selbst sah nie einen Nachteil in seiner fehlenden Schulbildung: „Was auch immer ich verpasst habe, habe ich mit etwas anderem ersetzt, und das war es wert“, sagte er 1989 in einem Interview. Leidenschaftlich lernte und referierte er über Umwelt- und Klimafragen, spendete für gemeinnützige Organisationen und machte sich für die Tierrechtorganisation Peta stark.

Unsicher war er indes mit seiner medialen Rolle, dem Aufstieg vom Kinderstar zum Teenieschwarm und Sexsymbol. Mutter Arlyn sagte nach seinem Tod, dass er sich zunehmend unwohl damit fühlte, der Posterboy für alles Gute zu sein. „Er sagte oft, er wäre gern anonym. Aber das war er nie. Wenn er kein Filmstar war, war er ein Missionar. Darin liegt eine Schönheit – ein Mann für eine höhere Sache, der Anführer. Aber es liegt auch eine tiefe Einsamkeit darin.“

Um sich vor bohrenden persönlichen Fragen der Medien zu schützen, begann Phoenix, Dinge zu erfinden. „Ich habe gelogen und Geschichten verändert und mir selbst links und rechts widersprochen“, gestand er in einem Interview wenige Tage vor seinem Tod, „am Ende des Jahres konnte man fünf verschiedene Artikel lesen und sagen: Dieser Typ ist schizophren.“

(einestages)