Tequila Sunset

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(Flickr)

Der aus Agaven hergestellte Tequila ist längst viel mehr als billiger Schnaps. Doch sein scheinbar unaufhaltsamer Aufstieg könnte bald einen Dämpfer bekommen.

Weißer Nebel wabert aus dem Mixer, in dem der Bartender im El Big Bad den Cocktail des Tages mixt: Margaritas, gekühlt mit Flüssigstickstoff, sind am Cinco de Mayo die besondere Attraktion in der Tequila-Bar in Houston, Texas. In Mexiko gedenkt man  am 5. Mai der 1862 gewonnenen Schlacht gegen Frankreich im Französisch-Mexikanischen Krieg mit eher gediegenen Festivitäten. In den USA hat sich der Tag hingegen zu einer landesweiten Party gemausert, bei der typisch  m mexikanisches Kulturgut im Mittelpunkt steht: Tacos, Mariachi-Bands, Tequila.

In Houston gibt es keinen besseren Ort für diese Festlichkeiten als El Big Bad. Die Bar hat landesweit die größte Auswahl an Tequila-Infusionen und ist an diesem Samstag rappelvoll. Tequilas, die mit Zutaten wie Jalapeño, Ananas oder Erdnussbutter versetzt werden und dadurch einen besonderen Geschmack von scharf bis nussig annehmen, gehen ebenso häufig über den Tresen wie Margaritas in allen erdenklichen Variationen und purer, hochwertiger Tequila.

Steve Sharma hat die Bar 2011 eröffnet und musste nach drei Jahren in eine größere Location ziehen, um den wachsenden Besucherströmen gerecht zu werden. Sharma hat mit den geschmacklich angereicherten Tequilas eine Nische besetzt, die sonst in Houston niemand bedient. „Es ist ein guter Einstieg für die Leute. Sie werden neugierig auf Tequila und kommen wieder“, sagt er über sein Konzept. 70 verschiedene Sorten hat er im Programm, daneben hochwertige Tequilas, die pur und wahlweise auf Eis getrunken werden. Maestro Dobel Reposado etwa, den die Bardamen an diesem Samstag zum Verkosten anbieten: Sechs Monate im Eichenfass gereift, fließt er sanft über die Zunge und hinterlässt sowohl eine fruchtige Note als auch Spuren von Vanille und Mandel im Abgang — Limetten oder Salz sind bei diesem Agavenschnaps überflüssig.

Die Erfolgsgeschichte von El Big Bad ist stellvertretend für die des Tequilas: „Der Markt ist in den vergangenen Jahren explodiert“, sagt Sharma. Tequila hat sich vom Schnaps für billige Shots mit Limette und Salz zu einem populären Partygetränk entwickelt: Längst sind Margaritas und andere Cocktails mit Tequila von den Speisekarten vieler Bars nicht mehr wegzudenken. Seit 1995 hat sich die Tequila-Produktion in Mexiko deshalb beinahe verdreifacht. 2017  produzierte das Land 271 Millionen Liter Agavenschnaps. Nur ein Bruchteil davon blieb in Mexiko, 213 Millionen Liter gingen in den weltweiten Export.

Durst auf Tequila. Auch in Deutschland erfreut sich der Agavenschnaps steigender Beliebtheit: Die Bundesrepublik steht beim Import an dritter Stelle. Der größte Absatzmarkt sind jedoch die USA. 80 Prozent des produzierten Agavenschnapses liefert Mexiko ins Nachbarland. Nach Angaben der amerikanischen Handelsorganisation DISCUS stieg die Menge des in Amerika konsumierten Tequilas seit 2002 um 140 Prozent.

Den regelrechten Boom verdankt der Hochprozentige sowohl staatlicher Regulierung als auch seiner Authentizität. Nur wenn der Schnaps in einer der fünf Regionen Jalisco, Nayarit, Guanajuato, Michoacán oder Tamaulipas produziert und aus der blauen Agave gewonnen wird, darf er sich Tequila nennen. Charakter bekommt er durch seine Geschichte und den Herstellungsprozess.

Schon die mexikanischen Ureinwohner gewannen aus der Agave ein Gebräu, das sie vielfältig einsetzten. Der fermentierte Saft wurde erst nach dem Einfall der spanischen Konquistadoren zum Hochprozentigen: Als den Eroberern selbst der Schnaps ausging, begannen sie, lokale Alkoholgebräue zu destillieren — der Tequila war geboren.

Der Herstellungsprozess verlangt Zeit und Handwerk: Mindestens sieben Jahre muss die Agavenpflanze wachsen, bis sie reif ist. Sie kann nur einmal geerntet werden, danach muss eine neue Pflanze gesetzt werden. Die fleischigen Blätter werden per Hand abgeschlagen und das Herz der Pflanze, die piña, wird freigelegt. Sie wird entweder mehrere Tage in Öfen mit Wasserdampf gegart oder im Lehmofen gekocht, dann gepresst und der Saft aufgefangen. Der Saft lagert mit Wasser und Hefe zusammen bis zu fünf Tage in offenen Tanks, um zu fermentieren. Im Anschluss wird die Flüssigkeit zweimal destilliert und direkt abgefüllt oder in Fässern gelagert, um den Schnaps zusätzlich reifen zu lassen.

Je nach Lagerung und Alter werden fünf Sorten Tequila unterschieden. Blanco oder Silver Tequila wird entweder direkt nach dem Destillieren abgefüllt oder lagert nicht mehr als 60 Tage in Stahltanks, bevor er in die Flasche kommt. Als Joven oder Gold  Tequila werden die Sorten bezeichnet, die nicht zu 100 Prozent aus blauer Agave produziert wurden, sondern mit bis zu 49 Prozent anderen Zuckerquellen versetzt wurden und keinen Reifeprozess durchlaufen. Tequila Reposado lagert zwischen zwei und neun Monaten in Holzfässern, bevor er abgefüllt wird. Mindestens ein Jahr und bis zu vier Jahre bleibt Añejo in Holzfässern, Extra Añejo sogar länger als vier Jahre.

„Während herkömmliche Marken und Premiumsorten das Rückgrat des amerikanischen Markts sind, ist das stärkste Wachstum bei High-End- und Super-Premium-Marken zu verzeichnen“, schreiben die Marktkenner von DISCUS in ihrem Jahresbericht. Seit 2002 wuchsen die High-End-Marken um 348 Prozent, während der Vertrieb von Super-Premium-Tequila im gleichen Zeitraum um 805 Prozent zunahm — obwohl Premiumsorten des Agavenschnapses zu Anfang der Jahrtausendwende nahezu völlig unbekannt waren. DISCUS definiert für die drei hochwertigen Sorten Reposado, Añejo und Extra Añejo eigene Preissegmente. Premium-Tequila kostet zwischen 8,50 und 15 Euro pro Flasche, High End Premium zwischen 15 und 22 Euro und Super Premium mehr als 22 Euro pro Flasche.

Prosten mit Promis. Ein Grund für den Erfolg ist die Vermarktung durch Prominente. Sänger Justin Timberlake gründete 2009 als einer der Ersten seine eigene Tequila-Marke: 901 Tequila ist ein dreifach destillierter Silver Tequila und so erfolgreich, dass die Brennerei Sauza 2014 in den Vertrieb einstieg. Der bekannteste Promi-Tropfen ist Casamigos, den Schauspieler George Clooney seit 2013 zusammen mit seinem Langzeitfreund und Cindy Crawfords Ehemann Rande Gerber und Unternehmer Mike Meldman vertrieb. 2014 kaufte sich Rapper Sean P. Diddy Combs zusammen mit Diageo bei der Tequila-Marke DeLeón ein und begann prompt, in Interviews gegen Konkurrent Patrón zu stänkern. Anfang des Jahres machten auch Schauspieler Dwayne „The Rock“ Johnson und sogar die Boyband Backstreet Boys mit Tequila-Plänen von sich reden.

Letztere könnten die Party allerdings schon verpasst haben. Zu den größten Produzenten gehören José Cuervo, Patrón, Sauza und 1800. Längst haben große Spirituosenkonzerne die bekannten Marken übernommen oder sich eingekauft. Bacardi kündigte im Januar an, seine 25 Prozent Anteile an Patrón auszuweiten und die Marke komplett zu übernehmen. Bei der Übernahme wurde die Marke mit 5,1 Mrd. Dollar bewertet. Pernod Ricard kaufte Avión Spirits im vergangenen Jahr für eine geheime Summe. Und der Branchenriese Diageo übernahm im Sommer 2017 für sage und schreibe eine Milliarde Dollar George Clooneys Casamigos-Tequila.

Drohende Tequila-Dämmerung. Am Nachschub könnte es dennoch bald hapern. Dem Markt droht ein Engpass, weil nicht genügend Agavenpflanzen für die Schnapsproduktion zur Verfügung stehen. Die Nachfrage nach Tequila stieg im vergangenen Jahrzehnt deutlich stärker, als die Produzenten voraussehen konnten. Agavenbauern haben deshalb viel weniger Pflanzen gesetzt: In diesem Jahr sind 17,7 Millionen Pflanzen reif für die Ernte, doch der Bedarf liegt bei 42 Millionen.

Da Agaven Jahre zum Wachsen brauchen, ist das Problem nicht so schnell zu beheben. Seit 2015 hat sich der Preis für die Pflanzen deshalb bereits versechsfacht; ein Kilogramm kostet mittlerweile 22 mexikanische Pesos. Eine Entwicklung, die auch Steve Sharma in Houston spürt: „2011 habe ich noch sechs Dollar für eine Literflasche Tequila bezahlt. Mittlerweile werden 13 Dollar pro Flasche aufgerufen“, so der Barbesitzer. Tequila-Produzenten haben damit begonnen, jüngere Pflanzen für die Produktion heranzuziehen, doch damit wird das Angebot in den kommenden Jahren zusätzlich verknappt — weitere weitere Preissteigerungen inklusive.

Es könnte nicht der einzige Preistreiber bleiben. US-Präsident Donald Trump sprach schon während des Wahlkampfs davon, Strafzölle auf mexikanische Waren erheben zu wollen. Prompt hagelte es Kritik, sogar aus den eigenen Reihen. „Um es mal deutlich zu sagen: Jeglicher politische Vorschlag, der die Preise für Corona, Tequila oder Margaritas in die Höhe treibt, ist eine wirklich schlechte Idee. Mucho sad“, twitterte der republikanische Senator Lindsey Graham kurz nach Trumps Amtsantritt.

Ungeachtet der Warnungen eskaliert der Handelskrieg der USA mit dem südlichen Nachbarn Mexiko aber immer weiter. Bisher stehen auf der amerikanischen Zollliste nicht nur bestimmte Sorten Stahl, sondern auch Lampen, Käse, Schweinefleisch, Äpfel, Trauben oder Cranberries aus Mexiko. Revanchiert sich Mexiko mit eigenen Zöllen auf US-Güter, könnten neue Produkte dazukommen. Dann könnte es auch den Tequila treffen.

(Euro 10/18)