Hosen-Aufstand im Senat

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Senatorin Barbara Mikulski widersetzte sich als eine der Ersten der Kleiderordnung im US-Senat (Flickr)

Frauen durften Gesetze formulieren und internationale Verträge schließen – doch bis in die Neunzigerjahre stand es US-Senatorinnen nicht frei, in Hosen aufzutreten. An einem Wintertag kam es zur Mode-Revolte.

Schon bei Amtsantritt hatten Barbara Mikulski und Carol Moseley Braun ihren Platz in den Geschichtsbüchern sicher: Mikulski schaffte es 1987 aus eigener Kraft – ohne politisch aktiven Ehemann oder Vater – in den US-Senat; Moseley Braun wurde 1992 erste afroamerikanische Senatorin. Neben ihren politischen Verdiensten schrieben beide Frauen 1993 Modegeschichte: Sie stellten die veraltete Kleiderordnung im Senat infrage – Mikulski absichtlich, Moseley Braun durch Zufall.

Moseley Braun gehörte bereits zehn Jahren dem Senat von Illinois an, bevor sie 1993 nach Washington kam. Ohne darüber nachzudenken, wählte sie in der Hauptstadt das gleiche Outfit, mit dem sie daheim aufgetreten war. „Ich hatte einen wirklich edlen Hosenanzug. Also betrat ich das Senatsparkett, die Leute zogen hörbar die Luft ein. Und ich wunderte mich, was das Problem war. Es war ja nicht so, als würde ich einen Schottenrock tragen“, sagte sie 2016 dem Chicagoer Radiosender WBEZ.

Doch die neue Senatorin hatte unwissentlich gegen Regeln verstoßen. Denn Frauen im Senat war es auch in den Neunzigerjahren noch nicht gestattet, Hosen zu tragen. Von ihnen ebenso wie den weiblichen Angestellten wurde erwartet, im Kleid oder Kostüm zur Arbeit zu erscheinen.

„Es war eine dieser Regeln, die dir keiner mitteilt, es sei denn, du bist Teil der Gruppe. Niemand hat mit mir darüber geredet, also hatte ich keine Ahnung“, so Moseley Braun. „Ich wusste es einfach nicht besser. Ich dachte, dass ich eins meiner besten Outfits trage.“

Auf der politischen Bühne in der Minderheit

Während ihr Hosenanzug in Illinois kein Aufsehen erregte, ging es in der Hauptstadt bedeutend formaler zu. Frauen waren auf der politischen Bühne noch immer in der Minderheit, von ihnen wurde erwartet, sich unauffällig einzufügen.

Als mit Jeannette Rankin 1916 die erste Frau in den US- Kongress gewählt wurde, waren bodenlange Kleider, konservative Schnitte und gedeckte Farben ihre Arbeitskleidung der Wahl. In den Jahrzehnten danach zementierte sich die modische Erwartungshaltung gegenüber Frauen. Erfahrene weibliche Kongressmitglieder wiesen Neulinge auf Verstöße hin: Extravaganz, schrille Schnitte und Farben oder zu kurze Röcke waren verpönt. Und obwohl Hosen Mitte des 20. Jahrhunderts als Frauenkleidung akzeptiert waren, tat man sich in Washington schwer damit.

Die republikanische Abgeordnete Charlotte T. Reid geriet 1969 in die Schlagzeilen, als sie in einem schwarzen, wollenen Hosenanzug zur Arbeit im Kongress erschien. Männliche Kollegen beäugten sie ungläubig; wenngleich sie Reids Kleiderwahl lobten, ruderte die Politikerin zurück: „Mir ist mein Dienst im Kongress wirklich sehr wichtig, und ich möchte nichts tun, das so aussieht, als würde ich mich darüber lustig machen. Genauso wenig möchte ich die Weiblichkeit der Frauen hier im Haus angreifen, obwohl ich denke, dass Hosen sehr weiblich aussehen können“, sagte sie 1969 der „Washington Post“.

Im Senat tickten die Uhren noch langsamer. 1993 waren erstmals sechs der 100 Senatoren Frauen, die amerikanische Presse erklärte es prompt zum „Jahr der Frau“. Bis dahin waren nie mehr als zwei Senatorinnen gleichzeitig im Amt, sodass es schwer war, bestehende Regeln infrage zu stellen. Während manche männlichen Kollegen ihren Angestellten Hosen zumindest im Büro erlaubten, war dies auf dem Senatsparkett undenkbar. Viele weibliche Stabsmitglieder mussten deshalb vorsorgen: „Wir haben von weiblichen Angestellten gehört, dass sie in den Achtzigerjahren, wenn sie zur Arbeit kamen, für den Notfall ein Kleid im Büro deponiert hatten oder sich eines liehen, falls sie auf dem Senatsparkett erscheinen mussten“, sagte der Senats-Historiker Richard A. Baker 2002 der „Washington Post“.

Hosen als seismographisches Ereignis

Vor den Türen prüften Einlasser jeden Besucher, der den Saal betreten wollte – im Hinblick auf Sicherheitsfragen, aber auch in Bezug auf ihre Kleidung. Allen, die nicht angemessen angezogen waren, konnten sie den Eintritt verwehren. Die Frage, was angemessen war und was nicht, oblag den Türstehern: Der entsprechende Kodex war allgemein gehalten.

Während Moseley Braun es durch Zufall an der Modepolizei vorbeischaffte, entschied sich Barbara Mikulski, die veraltete Kleidervorschrift absichtlich anzugreifen. Als die Wettervorhersage 1993 einen weiteren kalten Schneetag in Washington ankündigte, beschloss sie, dass es genug war: „Ich fühle mich in Hosen am wohlsten, und na ja, als Frau in Hosen das Senatsparkett zu betreten, wurde als seismographisches Ereignis angesehen“, erzählte sie 2010 dem Fernsehsender CNN.

Mikulski musste sich an den demokratischen Mehrheitsführer Robert Byrd wenden und ihn über ihre bevorstehende Kleiderwahl informieren. Er ließ die Regeln prüfen, um sicherzugehen, dass Hosen nicht ausdrücklich verboten waren.

Als kein entsprechender Paragraph gefunden wurde, musste Byrd das Anliegen der Senatorin abnicken. „Also betrete ich das Parkett an diesem Tag. Man hätte meinen können, ich würde auf dem Mond spazieren gehen. Es verursachte große Aufregung“, so Mikulski. Sie und Moseley Braun bekamen Unterstützung von Martha Pope, die als erste Frau den Posten des Sergeant at Arms bekleidete, zuständig für Sicherheitsmaßnahmen und die Hausordnung des Senats. Pope verfasste ein neues Memo zur Kleiderordnung, das an die Einlasser verteilt wurde und Hosen ausdrücklich erlaubte.

Die Hosen-Revolte war erfolgreich, doch sie ist nur eine von vielen Episoden, bei denen Politikerinnen mit ihrem Kleidungsstil für Furore sorgten. Pat Nixon schrieb Geschichte, als sie sich 1972 als erste First Lady für eine Modestrecke in Hosenanzügen zweier amerikanischer Designer fotografieren ließ. Hillary Clintons Entscheidung, 2007 im Senat unter ihrem Hosenanzug ein Shirt mit V-Ausschnitt zu tragen, ging als „Cleavagegate“ (Dekolleté-Affäre) in die Washingtoner Mode-Annalen ein. Unvergessen ist auch die Debatte um Michelle Obamas schulterfreie Kleider.

Unter den Rock fotografiert

Ohne den Vorstoß von Moseley Braun und Mikulski wäre die „Pantsuit Nation“-Bewegung während Hillary Clintons Präsidentschaftskandidatur 2016 undenkbar gewesen. In ihrem Buch „What Happened“ schreibt Clinton, warum Hosenanzüge ihr Markenzeichen geworden sind: Sie fühle sich darin professionell und bereit zum Angriff. Im Umgang mit Fotografen und Kritikern gaben sie ihr zudem Sicherheit: „Sie halfen mir dabei, das Risiko zu vermeiden, dass unter meinen Rock fotografiert wird, während ich auf der Bühne sitze oder Treppen hochsteige – beides ist mir als First Lady widerfahren“, schreibt Clinton.

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Hillary Clinton (Flickr)

Dennoch rief auch die Vorliebe für Hosenanzüge Kritiker auf den Plan. Modeberater Tim Gunn wunderte sich öffentlich: „Warum muss sie sich so anziehen? Ich glaube, sie ist sich ihres Geschlechts nicht ganz sicher.“ Das Modemagazin „Harpers Bazaar“ fühlte sich schon 2008 dazu berufen, Clinton Styling-Tipps zu geben, falls sie Präsidentin würde: Die Stil-Redakteure montierten ihr per Photoshop ganze Outfits auf den Körper.

Für einen solchen Umgang hat Menschenrechtsanwältin Gloria Allred – glühende Befürworterin des Powersuits (Blazer und Rock) – im Interview mit dem Newsportal „Broadly“ nur eine Erwiderung: „Wenn sie sie für ihre Hosenanzüge attackieren, sagt es mir, dass sie kein anderes gutes Argument haben zu dem, was sie sagt. Das ist ein sehr sexistisches Verhalten – wann wurde ein Mann zuletzt dafür attackiert, dass er einen Anzug trägt?“