Ex-Priester wegen Mordes vor Gericht – nach fast 60 Jahren

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Irene Garza ging am Ostersamstag 1960 zur Kirche, um zu beichten. Fünf Tage später wurde ihre Leiche in einem Kanal gefunden. 57 Jahre später hat nun der Mordprozess gegen den früheren Priester John Feit begonnen.

Es war kurz nach 19 Uhr, als Irene Garza am 16. April 1960 die Sacred Heart Church in McAllen, Texas, betrat. An diesem Ostersamstag waren zahlreiche Gläubige in der Kirche. Mehrere Kirchgänger bemerkten die hübsche junge Frau mit den dunklen Locken, der lavendelfarbenen Bluse und dem Petticoat. Garza bekreuzigte sich und legte sich einen weißen Spitzenschleier über das Haar, lief Richtung Altar und nahm auf einer Bank Platz, um zu beten. Anschließend reihte sie sich bei den Wartenden ein, die vor dem Osterfest die Beichte ablegen wollen. Niemand erinnerte sich, Garza beim Verlassen der Kirche gesehen zu haben.

Fünf Tage später trieb ihre Leiche mit dem Gesicht nach unten in einem Kanal der Stadt. Die Gemeinde war entsetzt über den Mord an der 25-Jährigen: Garza war eine Lehrerin, die mit benachteiligten Kindern arbeitete und zwei Jahre zuvor zur Miss All South Texas Sweetheart gewählt worden war.

Bald wurde klar, dass Priester John Feit sie als Letzter lebend gesehen hatte, als er ihr die Beichte abnahm. Der damals 27-Jährige hatte keine Erklärung für Kratzer an seiner Hand oder seine kaputte Brille – und kein überzeugendes Alibi. Trotz der Indizien und nicht bestandener Lügendetektortests wurde Feit nie angeklagt. Er verließ Texas, gab sein Amt als Priester auf und gründete eine Familie in Arizona.

Staatsanwaltschaft wirft Feit Vergewaltigung und Mord vor

Fast sechs Jahrzehnte später steht Feit nun doch wegen Garzas Tod vor Gericht. Er war im Februar 2016 in seinem Haus in Scottsdale, Arizona, verhaftet und nach Texas überstellt worden. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft und wird wegen seines schlechten Gesundheitszustands rund um die Uhr medizinisch überwacht.

Am Donnerstag begann nun das Verfahren gegen den ehemaligen Priester. Der 84-Jährige schob beim Betreten des Gerichtssaals eine Gehhilfe vor sich her. Seine Anwälte stützten ihn, als er zwischen ihnen Platz nahm.

„Sie werden lernen, dass Irene Garza in die Kirche ging und glaubte, man würde ihre Seele retten – stattdessen wurde sie erstickt“, sagte Staatsanwalt Michael Garza in seinem Eröffnungsplädoyer; der Ankläger ist mit dem Opfer nicht verwandt. Die Anklage wirft Feit vor, die junge Frau in das Pfarrhaus gelockt, sie dort angegriffen und sexuell missbraucht zu haben.

Laut Autopsiebericht wiesen Garzas Augen und ihre rechte Gesichtshälfte deutliche Hämatome auf. Sie wurde mit einem stumpfen Gegenstand so heftig geschlagen, dass sie ins Koma fiel. Anschließend wurde sie vergewaltigt und erstickt. Feit plädierte auf nicht schuldig. Seine Verteidiger forderten die Jury auf, das Urteil nicht mit dem Herzen zu fällen, sondern sich auf die Fakten zu konzentrieren.

Beweisstück bei der Leiche führte zum Angeklagten

Mehrere Zeugen und Beweisspuren belasten Feit. Neben den Kratzspuren, die Zeugen nach Garzas Verschwinden an seiner Hand beobachteten, ist Feits Alibi wenig überzeugend. Er hatte behauptet, in der Mordnacht stundenlang ziellos durch die Gegend gefahren zu sein.

Die Polizei fand in den Tagen nach Garzas Verschwinden einen ihrer Schuhe, ihre Handtasche mit ihrem Ausweis sowie ein Stück weiße Spitze am Wegesrand. Feit soll sie aus dem Auto geworfen haben. Auch das einzige Beweisstück bei der Leiche führte Ermittler zu dem Geistlichen: Als man bei der Trockenlegung des Kanals einen kleinen Diabetrachter fand, gab Feit zu, das Gerät gehöre ihm. Er behauptete nicht zu wissen, wie es dorthin gelangt sei.

Als erster Zeuge im Prozess berichtete der frühere Zeitungsreporter Darrell Davis von einem Vorfall nur wenige Wochen vor dem Mord: Die junge Studentin Maria America Guerra war am 23. März 1960 in einer Kirche im benachbarten Edinburg von einem Mann angegriffen worden und hatte Feit als ihren Angreifer identifiziert. 1962 wurde er wegen schwerer Körperverletzung und geplanter Vergewaltigung angeklagt.

Feit reichte ein No-contest-Bekenntnis ein, eine Besonderheit im amerikanischen Recht: Der Angeklagte bekennt sich weder schuldig noch unschuldig, akzeptiert aber, dass es genügend Beweise für eine Verurteilung gibt. Davis sagte aus, der damalige Staatsanwalt habe ihm von einem Deal mit der katholischen Kirche berichtet: Feit würde keine Gefängnisstrafe erhalten; stattdessen würde ihn die Kirche in eine Abtei für sündige Priester schicken.

Zeugen belasten angeklagten Ex-Priester

In dieser Abtei im US-Bundesstaat Missouri soll Feit dem Priester Dale Tacheny im Sommer 1963 Details des Mordes an Garza geschildert haben: Er habe Garza ins Pfarrhaus gebeten und dort ihre Beichte gehört. Anschließend, so Tachenys Schilderung, soll Feit Garza überwältigt, gefesselt und ihr an die Brüste gefasst haben, bevor er sie im Keller des Pfarrhauses versteckte und in die Kirche zurückkehrte, um weitere Beichten zu hören. Er habe sie in eine Badewanne gehievt und ihr eine Tüte über den Kopf gezogen.

Als er später zum Versteck zurückkehrte, sei sie leblos gewesen, soll Feit zu Tacheny gesagt haben. Demnach lud Feit Garzas leblosen Körper ins Auto und entledigte sich der Leiche an einem Kanal.

Tachenys Aussage belastet Feit schwer. Auch Feits früherer Kollege Father Joseph O’Brien sagte den Ermittlern 2002, er habe Feit nach Garzas Verschwinden zur Rede gestellt. Der junge Geistliche habe damals die Tat gestanden. O’Brien starb 2005. Feit bestreitet, die Tat jemals eingeräumt zu haben.

Obwohl die Aussagen Tachenys und O’Briens schon 2002 bekannt waren, weigerte sich der damals zuständige Staatsanwalt Rene Guerra, ein Verfahren gegen Feit einzuleiten. 2004 beugte er sich dem großen öffentlichen Druck, vermied es aber, Tacheny oder O’Brien in der Anhörung vorzuladen. Eine Grand Jury lehnte wenig überraschend eine Anklage aus Mangel an neuen Beweisen ab.

Erst 2014 nahm der Fall wieder Fahrt auf, als Ricardo Rodriguez die Nachfolge Guerras als Chef der Staatsanwaltschaft im Bezirk Hidalgo antrat. Rodriguez hatte vor seiner Wahl versprochen, den Fall Garza neu aufzurollen.

Der Prozess soll etwa zwei Wochen dauern.