35 Jahre zog Samuel Little tötend durch die USA, 90 Morde hat er jetzt gestanden. Sollten sich seine Aussagen bewahrheiten, hätte er mehr Menschen umgebracht als jeder andere US-Serienkiller.
Nach weniger als einer halben Stunde wusste Samuel Little, dass er weiter morden konnte. Mindestens acht Menschenleben hatte er bereits auf dem Gewissen, Dutzende sollten folgen.
Little, damals noch Samuel McDowell, stand im Januar 1984 für den Mord an Patricia Ann Mount vor Gericht. Die nackte Leiche der 26-Jährigen wurde am 12. September 1982 in einem Feld in der Nähe von Gainesville, Florida, gefunden. Die Ermittler warfen McDowell vor, die junge Frau verprügelt, vergewaltigt und anschließend stranguliert zu haben. Er war der Letzte, mit dem sie in einer Bar lebend gesehen wurde. Obwohl der Bareigentümer ihn identifizierte, gab es kaum weitere Beweise, die McDowell mit der Tat in Verbindung brachten. Nach weniger als 30 Minuten Beratung sprach die Jury ihn frei.
McDowell nahm den Nachnamen Little an und zog durch den Süden der USA bis an die Westküste, dann zurück ins Landesinnere. Er arbeitete als Hilfsarbeiter in allen möglichen Jobs – und mordete ungestört weiter. 2013 geriet er ins Visier kalifornischer Ermittler und konnte dank eines DNA-Abgleichs als Täter in drei Mordfällen identifiziert werden. 30 Jahre nach seinem Freispruch in Florida wurde Little 2014 in einem Gerichtssaal in Kalifornien des dreifachen Mordes für schuldig befunden und zu dreimal lebenslänglich verurteilt. Noch bei der Urteilsverkündung rief er „Ich war das nicht!“
Zwei Tage lang: Geständnisse
Schon damals bestand der Verdacht, er könne weitere Morde außerhalb Kaliforniens begangen haben. Seine DNA brachte ihn vergangenen Sommer mit dem Mordfall Denise Brothers in Verbindung, die im Februar 1994 tot in Odessa, Texas, gefunden worden war. „Detective John Holland von den Texas Rangers ist auf solche Fälle spezialisiert und hat sich um Zugang zu Samuel Little bemüht“, so der zuständige Staatsanwalt Bobby Bland im Gespräch.
Holland reiste nach Kalifornien, befragte Little im Gefängnis und gewann sein Vertrauen. Wie genau, das will Bland nicht im Detail verraten. Beobachter vermuten, dass er für Informationen im Denise-Brothers-Fall Bedingungen gestellt hat. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Häftlingen dann Zugeständnisse gemacht werden, meist Vergünstigungen im Gefängnisalltag.
„Im Mai konnte Holland über zwei Tage hinweg zahlreiche Geständnisse von Little aufzeichnen“, sagt Bland. 90 sind es insgesamt, verteilt auf mindestens 15 Bundesstaaten. Auch die Tat in Odessa gab Little zu. Im Juli wurde der Häftling nach Texas überstellt, wo Anklage gegen ihn erhoben wurde.
Warum Little jetzt gesteht und nicht schon früher – das weiß wohl nur er genau. Er ist alt und gebrechlich. US-Medien spekulieren, dass er nun zu dem Schluss gekommen sei, dass er nichts mehr zu verbergen hat. Nach mehreren erfolglosen Beschwerden gegen seine lebenslange Freiheitsstrafe könnte er nun auch seine Rolle akzeptiert haben.
Seitdem bekommt Little Besuch von Ermittlern aus dem ganzen Land, die ihn zu Fällen befragen, die seit Jahrzehnten ungelöst sind. Über 30 seiner Geständnisse sind laut Staatsanwalt Bland bisher mithilfe von Daten- oder DNA-Abgleichen bestätigt worden. „Jeden Tag kommen weitere hinzu. Sollten all diese Fälle ihm zugerechnet werden, wäre er der schlimmste Serienmörder der amerikanischen Geschichte“, sagt Bland. Daran hat er keinen Zweifel: „Bislang haben wir keine Falschaussagen von ihm.“
Bislang galt der „Green River Killer“ Gary Ridgway mit 49 nachgewiesenen Morden als Amerikas gefährlichster Serienmörder. An seine Stelle könnte mit Little nun ein 78-jähriger Afroamerikaner treten, dessen einzige Konstante im Leben der Verstoß gegen das Gesetz ist. Geboren wurde Samuel Little am 7. Juni 1940 in Georgia, aufgewachsen ist er bei seiner Großmutter in Ohio. Schon mit 16 wurde er das erste Mal festgenommen und verbrachte einige Monate in einer Jugendstrafanstalt. In den Jahren 1957 bis 1975 wurde Little 26-mal von Polizeibeamten aufgegriffen.
Erst schlug er sie bewusstlos
Heute umfasst seine Akte über hundert Seiten und reicht von Diebstahl, Raub und Drogendelikten über tätliche Angriffe, Vergewaltigung bis Mord. Im Gefängnis, so erzählte er den Ermittlern, lernte er zu boxen – und machte sich das Training später bei seinen Opfern zunutze: Er schlug die Frauen unvermittelt bewusstlos, erwürgte sie dann und masturbierte dabei.
Meist suchte er Frauen aus, die er wohl für leichte Opfer hielt, oft Drogensüchtige oder Prostituierte. 1976 lockte er Pamela Kay Smith in St. Louis in sein Auto, schlug, würgte und vergewaltigte sie. Halbnackt, die Hände noch hinter dem Rücken gefesselt, entkam sie aus seinem Auto und konnte Hilfe rufen. Little sagte der Polizei, er habe die Frau lediglich geschlagen – und kam mit einer Gefängnisstrafe von nur drei Monaten davon.
„Ich wusste, sie gehörte mir“, erinnerte er sich im Verhör mit den Ermittlern lächelnd an den Moment, als Brenda Alexander in den frühen Morgenstunden des 26. August 1979 zu ihm ins Auto stieg. Er hatte die 23-Jährige aus Phenix City im Bundesstaat Alabama in einem Nachtklub angesprochen. Bei Anbruch der Dunkelheit des nächsten Tages wurde ihre Leiche in einem kleinen Waldstück außerhalb von Columbus gefunden. 1982 wurde er des Mordes an Melinda LaPree verdächtigt, deren Leiche man auf einem Friedhof in Pascagoula, Mississippi, fand. Anklage wurde nie erhoben. Im gleichen Jahr ermordete er in Louisiana die 55-jährige Dorothy Richard.
„Es fühlt sich an, als wäre es wieder 1982“
Richards Enkelin Monique Stepter war damals fünf Jahre alt. Die einzige Erinnerung an ihre Großmutter ist eine verschwommene Szene, in der sie durch den Flur ihres Hauses läuft. Die Nachricht von Littles aktuellem Geständnis öffnete für Stepter und ihre Familie alte Wunden. „Wir wussten, dass sie ermordet wurde, aber nicht wie. Es fühlt sich an, als wäre es wieder 1982“, sagte sie der örtlichen Zeitung „Daily Comet“. Monatelang hatte die 41-Jährige für das vergangene Wochenende eine Familienzusammenkunft geplant. Das Treffen wurde nun kurzfristig zur Gedenkfeier für ihre ermordete Großmutter. Stepter hofft, dass es der Beginn eines Heilungsprozesses ist.
Denn juristisch gesehen ist fraglich, ob Little für all seine Morde zur Rechenschaft gezogen werden kann. In Kalifornien wurde er bereits zu dreimal lebenslänglich verurteilt. Little erscheint am Montag in Texas vor Gericht: Bei der Anhörung wird darüber beraten, ob es zur Verhandlung kommt.
Die schiere Anzahl der Fälle macht es unmöglich, Little für jeden einzelnen Mord den Prozess zu machen. Hinzu kommt die schlechte Gesundheit des 78-Jährigen, der schon 2014 im Rollstuhl vor Gericht erschien. Staatsanwalt Bland hofft, dass die Angehörigen von Littles Opfern trotzdem Frieden finden: „Manchmal bedeutet Gerechtigkeit nicht, Verurteilungen zu erreichen. Manchmal bedeutet Gerechtigkeit, Antworten zu finden.“
(Spiegel Online)