Wow, that’s billig

Aldi-Markt in Newark, Ohio
Aldi-Markt in Newark, Ohio (Flickr)

Wie die deutschen Lebensmittelketten Aldi und Lidl mit ihrem Discount-Modell die Welt erobern – und neue Kunden an ihre Supermärkte gewöhnen.

Man engagiere einen preisgekrönten amerikanischen Komiker, gebe ihm ein Megafon und schicke ihn in einen Aldi-Markt: Ben Bailey tritt gegen die Kunden zum Einkaufswagen-Wettrennen an, benutzt eine Banane als Telefon und begleitet Rentner Herb beim Einkauf. Von Bailey danach gefragt, was ihm bei Aldi am besten gefällt, verkündet Herb per Lautsprecher: „Die Preise sind unschlagbar und die Qualität überragend.“ Die Botschaft ist klar: Bei Aldi einzukaufen macht Spaß und schont den Geldbeutel.

Aldi will die USA erobern. Deshalb drehte der Konzern den Videoclip mit Bailey. Und deshalb verschenkt er Einkaufsgutscheine an Neukunden wie bei der Eröffnung der Filiale in Royal Palm Beach in Florida. Der deutsche Discounter ist schon seit 40 Jahren auf dem US-Markt vertreten. Bisher setzte er dabei auf langsames, organisches Wachstum. Rund 1400 Filialen betreibt Aldi Süd in den USA, vor allem an der Ostküste (Aldi Nord ist nur über die Kette Trader Joe’s in den USA aktiv). Doch jetzt will der deutsche Discounter in ungewohnt hohem Tempo auch die Westküste erobern: Bis Juli 2016 öffnen 25 neue Märkte in Kalifornien. Insgesamt sollen bis 2018 landesweit 650 Filialen hinzukommen. So will Aldi die Zahl der US-Kunden um 50 Prozent auf 45 Millionen pro Monat steigern. Dafür investiert das Unternehmen drei Milliarden Dollar und schafft 10 000 neue Jobs. Mit seinem Expansionsdrang ist der Konzern nicht allein: Auch Konkurrent Lidl will den US-Markt aufrollen. Die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl gehört, baut ihren Hauptsitz in Arlington, Virginia. Das Unternehmen investiert 202 Millionen Dollar und schafft 700 Jobs vor Ort. In drei bis vier Jahren will Lidl mindestens 100 Filialen eröffnen.

Dass die deutschen Discounter gerade jetzt ihr Glück im Ausland versuchen, ist kein Zufall. Erstens wächst das Geschäft in Deutschland nur noch mäßig. Von 2013 bis 2014 steigerte Lidl den Bruttoumsatz hierzulande um 3,1 Prozent, Aldi sogar nur um 0,8 Prozent. Im Ausland wachsen die Umsätze dagegen zweistellig. Und zweitens wollen die Discounter die Gunst der Stunde nutzen. In Ländern wie den USA und Großbritannien haben sich die Einkaufsgewohnheiten verändert — durch die Finanzkrise. Immer mehr Menschen entdecken die Schnäppchenjagd für sich. Denn das durchschnittliche Haushaltseinkommen lag zum Beispiel in den Vereinigten Staaten 2014 bei 53 657 Dollar — und damit noch immer 6,5 Prozent unter dem Vorkrisenniveau
von 2007.

Große Nachfrage. Während der Rezession ist die amerikanische Mittelschicht erodiert, die Zahl der Geringverdiener nimmt dagegen stetig zu. Eine Befragung der Marktforscher von Gallup ergab, dass knapp 16 Prozent der Amerikaner nicht genügend Geld für Essen haben. „Das Discount-Modell stößt auf eine große Nachfrage“, sagt Tim Barrett, Analyst bei Euromonitor.

Die Folgen spüren vor allem die Konkurrenten. Die Umsätze der größten amerikanischen Supermarktketten Walmart und Kroger wachsen deutlich langsamer. Traditionsmarken wie der Schokoladenhersteller Hersheys melden Umsatzrückgänge und begründen sie damit, dass die Kunden stärker auf den Preis achten. Denise Morrison, Chefin des US-Suppenherstellers Campbell, schrieb kürzlich in einem Artikel für das US-Magazin „Fortune“, die schrumpfende Mittelklasse in den Industrieländern sei eine von vier seismischen Veränderungen, die ihr Unternehmen beeinträchtigten. Und Marktforscher stellen fest, dass der Trend zu kleineren Wohnungen und weniger Autos auch den wöchentlichen Einkaufstrip zum Hypermarkt außerhalb der Stadt unattraktiv macht.

Kulturschock beim Einkauf. Während Branchengrößen wie Walmart diese Entwicklungen lange ignoriert haben und auf gigantische Märkte mit ausschweifenden Produktpaletten setzen, stoßen die Lebensmitteldiscounter genau in diese Lücke: Sie bauen kleine Märkte in der Nachbarschaft und begrenzen die Anzahl der Produkte. Die Kosten, die sie dadurch bei Bau oder Miete und in der Logistik sparen, geben sie als Preisvorteil an den Verbraucher weiter. Aldi verspricht seinen Kunden, dass sie bis zu 50 Prozent bei ihren Wocheneinkäufen sparen können.

Das Problem ist allerdings: Die deutschen Discounter müssen die US-Käufer erst an ihre Angebote gewöhnen. Denn die deutsche Effizienz versetzt vielen Amerikanern einen Kulturschock. Weil sich das Einkaufsgefühl stark von dem in amerikanischen Märkten unterscheidet, hat Aldi sogar ein Infoblatt für Neukunden herausgegeben: Der „Aldi Shopping Guide“ erklärt, weshalb Tragetaschen nicht kostenlos sind, dass der Einkaufswagen mit einem 25-Cent-Stück auszulösen ist, dass an der Kasse keine Visa-Karten akzeptiert werden und jeder seine Waren selbst einpacken muss. In amerikanischen Supermärkten packen Angestellte die Einkäufe an der Kasse in kostenlose Plastiktüten und schieben die Einkaufswagen vom Parkplatz zurück in
den Markt. Aldi lässt seine Kunden diese Arbeit selbst verrichten — und spart so Personalkosten.

Hinzu kommt, dass viele Waren direkt aus dem Karton verkauft werden. Damit spart sich das Unternehmen Angestellte, die jede Packung einzeln in die Regale einsortieren. In der stark begrenzten Produktpalette finden Kunden zudem nur wenige bekannte Namen; das Unternehmen bietet stattdessen Eigenmarken an. Sie erinnern in Verpackung und Design an die Branchenführer. Statt der „Fruit Loops“ von Kellogg’s hat Aldi „Fruit Rounds“ der Eigenmarke Millville im Sortiment. Die Verpackung gleicht
dem Kellogg’s-Original bis hin zum Vogel, der einen Fruchtring knabbert. Der Konzern hat diese Markenpolitik perfektioniert: Durch die Ähnlichkeit wird der Konsument an eine bekannte Marke erinnert, er kauft aber ein Aldi-Produkt.

Hinzu kommt, dass der Discounter landestypische Besonderheiten berücksichtigt. Wie das Unternehmen sein deutsches Modell im Detail anpasst, dazu will sich Aldi nicht äußern. Euromonitor-Analyst Barrett stellt aber fest, dass der Konzern das Ernährungs- und Einkaufsverhalten seiner Kunden genau beobachtet. Weil sich die Amerikaner zunehmend gesünder ernähren, hat Aldi eine Reihe neuer Produktlinien ins Sortiment aufgenommen — ohne Laktose, Gluten oder Gentechnik. Obendrein finden
Kunden die Bio-Linie „simply nature“ im Regal. Die Bemühungen tragen Früchte: Laut einer Konsumentenumfrage ist Aldi einer der drei beliebtesten Supermärkte in den USA.

Dass der Erfolg der Deutschen kein Selbstläufer ist, zeigt das Beispiel des britischen Konkurrenten Tesco. Er setzte bei seinem US-Markteintritt im Jahr 2007 allein auf schnelles Wachstum und scheiterte so grandios, dass er sich sechs Jahre später aus den USA zurückziehen musste. Aldi hingegen expandiert sehr langsam — und scheint damit weit besser zu fahren.

Die Konkurrenz versucht sich nun zu wappnen. Walmart setzt Lieferanten unter Preisdruck, um Produkte billiger verkaufen zu können und will zudem seine kleineren „Walmart Neighborhood Stores“ populärer machen. Der Rivale Kroger setzt auf Eigenmarken sowie Mengenrabatte und eröffnet zusätzliche Läden seines Discounters „Ruler Foods“.

Marktanteil zweistellig. Was auf sie zukommt, zeigt der Blick nach Großbritannien: Dort verzeichnen Aldi und Lidl zweistellige Wachstumsraten und jagen Konkurrenten wie Tesco, Asda, Sainsbury’s und Morrisons die Kunden ab. Der Marktanteil von Aldi und Lidl zusammen wird auf zehn Prozent geschätzt — doppelt so viel wie 2012. Nachdem Aldi in Großbritannien über Jahre zum „Supermarkt des Jahres“ gekürt wurde, ging der Titel 2015 erstmals an Lidl. Beide sind bisher vor allem im Norden der Insel stark aufgestellt, wollen künftig aber auch in London und im Südosten Hunderte neuer Märkte errichten. Lidl-Landeschef Ronny Gottschlich erklärte, der Discounter wolle in Großbritannien doppelt so groß werden wie bisher. Im November eröffnete das Unternehmen in Rushden, North Hampshire, seinen lichtdurchfluteten „Lidl-Markt der Zukunft“.

Auch Australien hat das Unternehmen aus Neckarsulm im Visier. Lidl hat sich Down Under den Markennamen  schützen lassen, will sich zu konkreten Plänen aber nicht äußern. Konkurrent Aldi machte den Schritt nach Australien bereits 2001 und hat dort mittlerweile elf Prozent Marktanteil. Die 370 Geschäfte erwirtschaften laut der Investmentbank Morgan Stanley einen Umsatz von umgerechnet 2,9 Milliarden Euro. Mit Lidls Markteintritt in Australien und den USA geht der globale Preiskampf in die  nächste Runde — und die Chancen für die deutschen Discounter stehen alles andere als schlecht.

(€uro 02/16)