Aufstand der Beilagen

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(Flickr)

Linsenbratlinge im Burger sind keine Neuheit mehr – doch Gemüse will jetzt auch Pizzaboden, Kartoffelbrei und Pasta sein. Ein Trend, für den sich längst nicht nur Veganer begeistern.

Maronen-Nussbraten mit Steinpilzsoße, Lauch-Cannelloni mit Grünkern und Tomaten oder Rote-Beete-Risotto: Bei Lea Green wird es am Küchentisch bunt und pflanzlich. Green lebt seit 2012 vegan und betreibt den Blog veggi.es, auf dem sie regelmäßig spannende neue pflanzliche Kreationen vorstellt. Sie zeigt, dass Gemüse nicht zu einem Dasein als Beilage verdammt ist, sondern unzählige neue Formen annehmen kann. „Ich liebe die Transformationsmöglichkeiten der Pflanzenküche und dass es noch so viele unausgetretene Pfade gibt“, sagt die Bloggerin, die ihre Rezepte bereits in zwei Kochbüchern veröffentlich hat.

Blogger wie Lea Green, Köche, Ernährungsforschung und der sich wandelnde Lebensstil der modernen Gesellschaft nehmen beständig Einfluss darauf, was bei uns auf den Teller kommt. In jüngster Zeit spielt Gemüse dabei häufiger die Hauptrolle, anstatt ein Beilagen-Dasein zu fristen. Denn immer mehr Profi- und Hobbyköche entdecken, dass Gemüse ein Alleskönner ist. Und das nicht nur, weil sich mehr Menschen für einen vegetarischen oder veganen Lebensstil entscheiden. Vielmehr achten immer mehr Verbraucher auf einen nachhaltigeren Lebensstil und essen bewusst weniger Fleisch – etwa um die persönliche Klimabilanz positiver zu gestalten. Andere Konsumenten suchen nach Alternativen für kohlenhydratlastige Lebensmittel wie Pasta oder Brot, weil sie Gewicht verlieren möchten.

„Gemüse vor“ nennen Experten den Trend. Die Autoren des Michelin-Guides listen ihn auf ihrer Webseite sogar als ersten Punkt ihrer Lebensmitteltrends im Jahr 2018: „Pflanzenbasiertes Essen wird aller Voraussicht nach 2018 der heißeste kulinarische Trend. Im kommenden Jahr werden wir mehr pflanzliche Alternativen zu Kohlenhydraten wie Blumenkohlreis und „Zoodles“ sowie pflanzenbasierte Proteine wie Tofu, Tempeh und Quinoa sehen, weil Köche beginnen, Gemüse mit dem gleichen Respekt zu behandeln wie Fleisch“, schreiben die Autoren.

Ein Blick auf soziale Netzwerke wie Instagram und Pinterest gibt ihnen recht: Dort häufen sich die Rezepte für „Zoodles“, wie man Nudeln aus Zucchini nennt. Zucchini werden außerdem geraspelt und zu Puffern verarbeitet oder ersetzen in dünne Streifen geschnitten die Nudelplatten in einer Lasagne. Süßkartoffelstreifen ersetzen herkömmliche Pommes. Karotten werden mit Öl und Gewürzen im Ofen als Alternative zu Kartoffelchips gebacken. „Ich selbst empfinde die Pflanzenküche als sehr viel experimenteller, spannender und genussvoller als den klassischen Mischkost-Dreiklang aus Fleisch, Beilage und Gemüse“, sagt Green.

Ernährungswissenschaftler empfehlen schon seit Jahren, mehr Gemüse zu essen – und mit neuen Diättrends finden ihre Worte immer mehr Gehör. Low-Fat-Diäten reduzieren den Verzehr von fettigen Lebensmitteln, Low-Carb-Diäten minimieren die Einnahme von Kohlehydraten. Beiden gemeinsam ist, dass während der Diäten mehr Gemüse auf dem Teller landet.

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Die Low-Carb-Diät begünstigt den Aufstieg von Gemüse allerdings in besonderem Maß. Denn bei Low Carb geht es vor allem um den Verzicht auf einfache Kohlenhydrate, die viel Zucker, aber kaum Nährstoffe in den Körper pumpen. Dazu gehören vor allem Brot, süße Backwaren mit weißem Mehl und Nudeln. Bei allem Verzicht lassen sich Gelüste dennoch nicht vermeiden – und so machten sich kreative Köche auf die Suche nach gesünderen, schlankeren Alternativen für Pasta, Pizzaböden und Broten. So wurden „Zoodles“ zum heißen Trend und Spiralizer, mit denen man die spiralförmigen Gemüsenudeln herstellen kann, zum Verkaufsschlager auf Amazon. Lea Green verarbeitet Zucchini geraspelt als Pizzaboden oder in Kuchen. Außerdem verwandelt sie schwarze Bohnen in Schokomousse, kreiert herzhaft gefüllte Süßkartoffeln oder nutzt sie in einem Pfannkuchenrezept.

Je vielfältiger ein Gemüse sich verarbeiten lässt, umso besser: Kaum eines profitiert davon in jüngster Zeit so wie Blumenkohl. Lebensmittelexperten erklären Blumenkohl zum neuen In-Gemüse nach Kale. Wo früher nur blanchiert oder weichgekocht wurde, wird heute geröstet, gebraten, gedünstet und sogar frittiert. „Dass Blumenkohl gerade so hip ist, finde ich super. Man kann ihn nicht genug schätzen“, sagt die Bloggerin. Die Röschen werden in Öl und Kräutern oder Knoblauch und Parmesan gewälzt und im Ofen geröstet. Der Kopf wird in dicke Scheiben geschnitten und als Steak in der Pfanne gebraten. Die Rosen werden mit Buffalo-Soße übergossen und wie Chicken Wings frittiert. Er wird gekocht und im Mixer mit Gewürzen zu einem Brei verarbeitet oder nach dem Dünsten zerkrümelt und als Reis eingesetzt. Außerdem lässt er sich zu Couscous, Brot, Suppe oder Schokomousse verarbeiten. Dem Blumenkohl sind plötzlich keine Grenzen mehr gesetzt.

Immer mehr Restaurants erkennen das Potential der Pflanzenküche. Im Berliner „BRLO Brwhouse“ stellt Küchenchef Ben Pommer pflanzliche Lebensmittel in den Mittelpunkt seiner Menüs. Andrée Köthe hat sich mit ihnen im Nürnberger „Essigbrätlein“ zwei Michelin-Sterne erkocht. „Ich liebe es, einzelne, möglichst saisonale Gemüsesorten, in den Mittelpunkt meines Rezepts zu stellen. Von der Gemüseauswahl ausgehend überlege ich mir dann, welche Zubereitungsarten ich wählen könnte, welche Gewürzkombinationen spannend sind und welche Texturen ich neu erschaffen kann“, erklärt Bloggerin Green ihren Ansatz. „Gerade die Sterneküche, die gefeierten Köche in den Gourmet-Tempeln, haben in den letzten Jahren gezeigt, welch großes geschmackliches Potenzial in pflanzlichen Produkten schlummert, welche Vielfalt an Texturen, Aromen und Farben sie bieten und mit welch unterschiedlichen Zubereitungsmöglichkeiten sie sich in exquisite Speisen verwandeln lassen“, schreibt Hanni Rützler im Food Report 2018, der jährlich vom Zukunftsinstitut in Kooperation mit der Lebensmittelzeitung herausgegeben wird.

Längst wollen auch Produzenten und Konzerne mitverdienen und bieten in amerikanischen Supermärkten vorgefertigten Blumenkohl-Brei oder Kroketten aus Blumenkohl und Brokkoli an. Die Marktforscher von Mintel berichten, dass 83 Prozent der Amerikaner pflanzenbasierte Produkte aus gesundheitlichen Gründen in ihre Ernährung aufgenommen haben. Zwischen 2012 und 2016 hat die Anzahl vegetarischer Produkte in amerikanischen Supermarktregalen um 25 Prozent zugenommen, im noch jüngeren veganen Markt stieg das Angebot neuer Produkte sogar um 257 Prozent.

Bereits gereinigtes und geschnittenes Gemüse mag manchem Verbraucher den Einstieg in ein gemüseintensiveres Kocherlebnis ebnen und so helfen, einen pflanzenbasierten Ernährungsstil weiter zu verbreiten. Bei vegetarischen Fertiggerichten in der Tiefkühlabteilung sollte man dennoch zweimal hinschauen: Wenn am Ende Konservierungsmittel, Geschmacksverstärker und künstliche Fette im tiefgefrorenen Gericht landen, ist der gesunde und nachhaltige Ernährungsanspruch schnell dahin. Lea Green ist überzeugt, dass man die Hinwendung zur Pflanzenküche nicht bereut: „Die meisten Menschen wissen gar nicht, welches kreative Potenzial in einer ausgewogenen Gemüseküche steckt und wie vielfältig man saisonale und regionale pflanzliche Zutaten zubereiten kann.“