Kennedy und der geheimnisvolle Dr. Feelgood

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John F. Kennedy (Flickr)

Mediziner oder Drogendealer? Dr. Max Jacobson spritzte John F. Kennedy mit Aufputschmitteln fit. Andere Ärzte fütterten Stars mit Pillen bis zur tödlichen Überdosis oder übernahmen die Kontrolle über ihr Leben.

Splitterfasernackt lief der Mann durch den Flur des New Yorker Hotels. Ein Pulk von Sicherheitsleuten hechtete hinterher und konnte ihn nur mit Mühe von Turnübungen abhalten. Der Mittvierziger war aufgedreht, desorientiert, paranoid. In der Not rief das Team den leitenden Psychiater einer nahen Universität zu Hilfe. Er diagnostizierte eine Psychose, ausgelöst durch Drogenkonsum, und verabreichte dem Mann Beruhigungsmittel.

Der drogenumnebelte Patient im Carlyle Hotel war US-Präsident John F. Kennedy. Und der Anfall, den die Autoren Richard Lertzman und William Birnes 2013 in ihrem Buch „Dr. Feelgood“ beschrieben, alarmierte Kennedys Sicherheitsteam im Spätsommer 1962 endgültig.

Seit zwei Jahren war Kennedy in Behandlung des New Yorker Arztes Dr. Max Jacobson. Dessen Spritzkuren ließen den von Rückenschmerzen geplagten Präsidenten stets schmerzfrei und seltsam beschwingt zurück. Die geheime Zutat seines Wundermittels: Amphetamine.

Kennedy vertraute Jacobson seit dem Präsidentschaftswahlkampf 1960. Sein Team war darauf bedacht, den Senator athletisch und aufgeweckt wirken zu lassen. Tatsächlich quälten den Kandidaten zahlreiche gesundheitliche Probleme: Der Historiker Robert Dallek durfte für die Biographie „John F. Kennedy. Ein unvollendetes Leben“ von 2011 die Krankenakten einsehen und listete die Addison-Hormonkrankheit, regelmäßige Entzündungen und Magengeschwüre sowie chronische Rückenschmerzen auf.

Hausbesuch bei „Mrs. Dunn“

Der Wahlkampf erschöpfte Kennedy überdies; sein Studienfreund Chuck Spalding arrangierte ein Treffen mit Dr. Max Jacobson. Der jüdische Einwanderer war 1936 vor den Nazis nach New York geflohen und hatte eine Praxis im Nobelviertel Upper East Side eröffnet. Er experimentierte mit Spritzkuren, mischte dazu Vitamine, Hormone, Plazenta, Knochenmark und tierische Zellen, versetzte sie mit Steroiden und Aufputschmitteln. Die genaue Mixtur verriet er den Patienten nicht. Der Cocktail tat auch bei Kennedy seine Wirkung.

Vor dem historischen TV-Duell gegen Richard Nixon 1960 suchte Kennedy erneut Hilfe bei Jacobson: Nach zahllosen Wahlkampfreden hatte er seine Stimme beinah verloren. Der Arzt injizierte ihm das Wundermittel direkt in den Hals; Kennedys fulminanter Auftritt verhalf ihm nach Ansicht von Historikern zum Wahlsieg.

Danach besuchte Jacobson das Weiße Haus regelmäßig. Wann immer Kennedy einen Energieschub oder Muntermacher für wichtige Meetings benötigte, rief sein Team in Jacobsons Praxis an und bat codiert um einen Hausbesuch bei „Mrs. Dunn“. Der positive Effekt auf die Physis und Stimmung des Präsidenten war so offensichtlich, dass die Secret-Service-Mitarbeiter den Arzt „Dr. Feelgood“ nannten.

Sogar zum Gipfeltreffen in Wien wurde Jacobson im Juni 1961 eingeflogen. Kennedy wollte bei den Krisengesprächen mit Nikita Chruschtschow auf Zack sein. Als sich der russische Staatslenker zum Gespräch verspätete, drängte Kennedy seinen widerstrebenden Arzt zu zwei weiteren Injektionen.

„Miracle Max“ vertrauten viele Promis

Den Buchautoren Lertzman und Birnes zufolge beeinträchtigte die Überdosierung den Präsidenten. Im Gespräch fehlte es ihm an geistiger Frische und Scharfsinn; er fühlte sich von Chruschtschow herumkommandiert wie ein kleines Kind. „Schlimmstes Erlebnis meines Lebens. Er hat mich brutal attackiert“, gestand Kennedy der „New York Times“. Wenige Wochen später begann der Bau der Berliner Mauer.

Nach dem Wiener Debakel wuchs im Kennedy-Zirkel die Skepsis gegenüber den Spritzkuren. „Und wenn es Pferdepisse ist, es ist mir egal. Ich fühle mich damit besser“, erinnerte sich Jacobson in seinen Memoiren an die Reaktion des Präsidenten.

Erst nach der Kubakrise 1962 gelang es Kennedys Team, den Arzt vom Präsidenten fernzuhalten. Recherchen der „New York Times“ brachten Jacobson in die Schlagzeilen. Die Zeitung deckte die Verbindung von „Miracle Max“, wie die Journalisten ihn nannten, zu Kennedy und anderen Prominenten auf: Behandelt hatte er auch die Schriftsteller Truman Capote, Tennessee Williams und Henry Miller, Regisseur Billy Wilder, den Politiker Nelson Rockefeller, Sängerin Maria Callas sowie die Schauspielerinnen Marilyn Monroe, Elizabeth Taylor und Judy Garland.

Die Reporter fanden heraus, dass Jacobson für seine Praxis 80 Gramm Amphetamine pro Monat orderte – genug für 100 starke Injektionen à 25 Milligramm pro Tag. Sie stießen auch auf den plötzlichen Tod von Mark Shaw 1969. Bei der Autopsie des Fotografen und Kennedy-Freundes hatte ein Gerichtsmediziner „akute und chronische Amphetamin-Vergiftung“ festgestellt. Nach dem Bericht von 1972 nahm das New Yorker Medical Board Ermittlungen auf; 1975 verlor Jacobson seine Lizenz. Er starb vier Jahre später.

14 Medikamente im Blut von Elvis

„Dr. Feelgood“ war beileibe nicht der einzige Promi-Doktor mit prall gefülltem Medikamentenschrank. Schon kurz nach dem Skandal um Jacobson geriet ein anderer Arzt in die Schlagzeilen. Als Elvis Presley am 16. August 1977 leblos im Badezimmer seiner Villa Graceland gefunden wurde, geriet sein Leibarzt Dr. George Nichopoulos in die Kritik. Bei der Autopsie fanden die Pathologen 14 Medikamente in Elvis‘ Blut, davon zehn hochdosiert. Allein die Menge des Schmerzmittels Kodein überstieg die empfohlene Dosierung um das Zehnfache.

„Dr. Nick“ stand 1981 wegen übermäßigen Verschreibens von Medikamenten vor Gericht, wurde jedoch freigesprochen. Nichopoulos bestritt, dass die insgesamt 300.000 Dollar, die Presley ihm geliehen hatte, sein Urteilsvermögen beeinträchtigt hatten. Der medizinische Aufsichtsrat von Memphis führte jedoch eine eigene Untersuchung durch und entzog ihm 1995 seine Lizenz. „Ich habe so hart gearbeitet, um die Dinge zusammenzuhalten, und dann haben sie sich einfach gegen mich gewandt, als er starb, und entschieden, dass es meine Schuld war“, sagte Nichopoulos 2009 in einem „Daily Beast“-Interview.

Wenig Freunde machte sich auch Dr. Eugene Landy als Therapeut von Beach-Boys-Gründer Brian Wilson. „Ich will ihn nicht einmal einen Doktor nennen“, sagte Melinda Wilson in einem Interview mit Larry King. Nach kometenhaftem Aufstieg mit der Band war Brian Wilson Anfang der Siebzigerjahre zusammengebrochen. Er verfiel in Drogensucht und Depressionen, verließ zwei Jahre lang nicht das Bett.

Seine Familie engagierte den Psychologen Eugene Landy, der in einer umstrittenen Therapie das Schlaf- und Essverhalten, aber auch die Kommunikation des Sängers überwachte. Anfängliche Erfolge ließen hoffen. Doch als Landy Einfluss auf die Musik der Beach Boys nehmen wollte und mehr Geld verlangte, musste er gehen – vorübergehend.

Sogar im Tonstudio redete der Therapeut mit

Wilson sank ab 1978 erneut in ein Loch aus Drogen, Alkohol und Depressionen. Wieder wurde Landy engagiert und flog mit Wilson zu einer Intensivtherapie nach Hawaii. Nach seiner Rückkehr schien Wilson erholt, doch Landy hatte sich als Autoritätsfigur etabliert.

„Ich durfte neun Jahre lang meine Familie und Freunde nicht anrufen“, erzählte der Sänger 2004 im Larry-King-Interview. Der Therapeut hielt Wilson mit Medikamenten unter Kontrolle, zog mit ihm in sein Haus in Malibu, mischte sich in Finanzen und Management ein; Landys Assistenten überwachten den Sänger.

Selbst im Tonstudio redete der Psychologe mit: Auf dem Soloalbum „Brian Wilson“ von 1988 erscheint er bei fast jedem Song in den Credits. Wilsons Familie wandte sich an die Behörden und warf Landy vor, den Beach Boy mit Medikamenten gefügig zu machen und damit gegen die Berufsethik zu verstoßen.

Landy gab seine Arzt-Lizenz freiwillig auf und überredete Wilson, ihn als „Lebensberater“ zu engagieren. 1991 gelang es der Familie, die Vormundschaft einzuklagen. Landy floh nach Hawaii und hatte nie wieder Kontakt zu Wilson.

(einestages, Spiegel Online)