Energiewende à la Brüssel

Kraftwerk Ensdorf (Flickr)
Kraftwerk Ensdorf (Flickr)

Das Winterpaket der EU-Kommission soll Hunderttausende Jobs und Milliardeninvestitionen bringen. Doch die Pläne für den Ausbau der Erneuerbaren und den Kohlesektor stoßen Klimaschützern sauer auf.

Mehr als 1000 Seiten stark ist das Regelwerk der EU-Kommission mit dem salbungsvollen Titel „Saubere Energie für alle Europäer“. Es umfasst vier neue Richtlinien und vier neue Verordnungen. Gemeinsam sollen sie sicherstellen, dass die EU ihre Klimaziele bis 2030 erreicht. „Wir legen die größte Veränderung des Energiemarkts in Europa auf den Tisch, seit die zentrale Stromversorgung aus fossilen Energien eingeführt wurde“, erklärte der für die Energieunion zuständige Kommissar Maros Sefcovic bei der Vorstellung dieses Winterpakets Ende November. Es sieht ab 2021 jährliche Investitionen von 177 Milliarden Euro vor, soll 900.000 Jobs schaffen und die Energiekosten für Verbraucher senken.

Eindrucksvolle Zahlen, die für die großen Ambitionen der EU beim Klimaschutz zu stehen scheinen. Wer genau hinsieht, entdeckt neben einigen Lichtblicken jedoch zahlreiche Kritikpunkte am Winterpaket, gerade aus Sicht der Ökostromerzeugung. Energie-Winde erklärt die zentralen Aspekte und den weiteren politischen Prozess.

Das Winterpaket konzentriert sich auf drei Felder: Energieeffizienz, Stromnetze, Ökostrom

Für die Energieeffizienz will die Kommission eine Steigerung um 30 Prozent im Jahr 2030 gegenüber dem Wert von 1990 vorschreiben. Bislang waren 27 Prozent angepeilt, und das auch nur unverbindlich. Das EU-Parlament hatte allerdings 40 Prozent Effizienzsteigerung gefordert. Energie- und Klimaschutzkommissar Miguel Arias Cañete ist trotzdem stolz auf das 30-Prozent-Ziel, da sich „unsere Abhängigkeit von Energieimporten verringert, Arbeitsplätze geschaffen und die Emissionen weiter reduziert werden“.

Dafür sollen eine neue, strengere Gebäuderichtlinie und ein Arbeitsplan für die Ökodesign-Richtlinie sorgen. Im Fokus stehen die Wärmedämmung von Gebäuden und effizientere technische Anlagen.

Die Achillesferse der Erneuerbaren sind die Stromnetze. Um die schwankenden Strommengen zu händeln, braucht es neben Speichern neue Leitungen, die den Strom dahin transportieren, wo er benötigt wird. Um Anreize für den Leitungsbau zu schaffen, will die Kommission Preiszonen im Stromnetz einrichten.

Das Kalkül dahinter: Wenn Strom in Gegenden mit zu wenigen Leitungen teurer wird, steigt der Anreiz, mit dem Bau neuer Anlagen gegenzusteuern.

Anstatt nur ihr nationales Netz zu bespielen, sollen Netzbetreiber nach Willen der Kommission künftig zudem grenzüberschreitend zusammenarbeiten. Die Koordination sollen regionale Operationszentren übernehmen. Die Kommission bekräftigt im Winterpaket daneben ihr Ziel, den Anteil von Ökostrom bis 2030 auf 27 Prozent zu steigern.

Jedoch gibt es weder ein EU-Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, noch Vorgaben für die Mitgliedsstaaten. „Es bleibt bis auf Weiteres unklar, wie viel zur Zielerreichung jeder einzelne Mitgliedsstaat beitragen soll“, sagt Matthias Buck, der den Bereich Europäische Energiepolitik beim Berliner Thinktank Agora leitet.

Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie mit ihren verbindlichen nationalen Zielvorgaben läuft Ende 2020 aus. Die Kommission schlägt zwar vor, dass bestehende Ziele weitergelten und Staaten bei deren Unterschreitung einen finanziellen Ausgleich zahlen. Die Fachleute von Agora fürchten jedoch, dass engagierte Staaten wie Deutschland ihren Pfad fortsetzen, während andere Länder den Ausbau der Erneuerbaren vernachlässigen. In diesem Fall müsste die Kommission in einigen Jahren teuer nachbessern, um ihr Ziel bis 2030 noch erreichen zu können.

Die Kommission will grenzüberschreitende Ausschreibungen für Kraftwerke – und könnte dadurch den Wettbewerb verzerren

Auf Kritik in der Ökostrombranche trifft auch die Idee, den Bau von Kraftwerken künftig grenzüberschreitend auszuschreiben. „Die Kommission will die Mitgliedsstaaten zu einer noch größeren Öffnung zwingen, obwohl die Bedingungen zu unterschiedlich sind. Das verzerrt den Wettbewerb“, beklagt der Bundesverband Erneuerbare Energien.

Die Erfahrungen einer grenzüberschreitenden deutsch-dänischen Ausschreibung von Solaranlagen im Herbst 2016 scheinen das zu bestätigen. Dänische Anbieter haben gegenüber deutschen deutliche Preisvorteile, unter anderem, weil in Dänemark auch Ackerflächen für Solaranlagen genutzt werden können und die Genehmigungsprozesse reibungsloser vonstattengehen. Deshalb gewannen die dänischen Anbieter die Ausschreibungen in Deutschland, während deutsche Anbieter in Dänemark nicht zum Zuge kamen. Die Deutschen hätten sich ziemlich blamiert, heißt es in der Branche.

Wolfram Axthelm vom Bundesverband Windenergie bezweifelt gegenüber Energie-Winde einen positiven Effekt solcher Ausschreibungen für die deutsche Energiewende: „Unter anderem ist eine ausreichende Netzverbindung zwischen den Partnerstaaten nicht als Bedingung genannt.“

Für Kohle- und Atomkraftwerke sollen Subventionen fließen. Der Einspeisevorrang für Ökostrom soll gekippt werden

Stark kritisiert wird der Wegfall des Einspeisevorrangs für erneuerbare Energien. Strom aus Wind-, Wasser- und Solaranlagen soll nur noch bei einer Überlastung der Netze Vorrang haben. Das Konzept sieht bei Einspeisetarifen für bestehende Anlagen und Kleinanlagen allerdings einen Bestandsschutz vor.

Die Kommission argumentiert, dass Wind- und Sonnenenergie keine Nischenprodukte mehr seien; Erneuerbare sollten sich deshalb dem Wettbewerb stellen. Dafür nimmt Brüssel allerdings in Kauf, dass nach eigenen Berechnungen bei einem Wegfall des Einspeisevorrangs der bei der Stromerzeugung anfallende CO2-Ausstoß um zehn Prozent zunimmt – im Klartext: dass Kohlekraftwerke von der Regelung profitieren.

„Während die Erneuerbaren in Zukunft weitgehend ohne Hilfen auf dem Markt bestehen müssen, werden Kohle- und Atomenergie weiterhin künstlich am Leben gehalten“, kritisiert Claude Turmes, energiepolitischer Sprecher der Grünen, das neue Regelwerk.

Aufschwung bekommen die konventionellen Energieträger auch, wenn die EU wie geplant Zahlungen für jene Kraftwerke einführt, die für mögliche Engpässe in Reserve gehalten werden. Kritiker sehen darin eine Laufzeitverlängerung für Kohlekraftwerke. „Ein solches Energiepaket bringt Deutschland um die Früchte der Energiewende“, sagt Niklas Schinerl, Energieexperte bei Greenpeace.

Energiekommissar Cañete dagegen verteidigte sein Paket. Gerade Klimaschutzorganisationen hätten es leicht, Maximalforderungen aufzustellen. Doch damit komme man im politischen Prozess nicht weit. „Wir haben einen ausgeglichenen Ansatz gewählt, der mit großen Anstrengungen umsetzbar ist.“

Ob das Winterpaket in dieser Form umgesetzt wird, ist allerdings fraglich. Zunächst müssen das EU-Parlament und die Regierungen der Mitgliedsstaaten zustimmen. Die Bundesregierung kündigte in einigen Punkten bereits Änderungsbedarf an. Zwar lobte das Wirtschaftsministerium in einer Stellungnahme etwa die Pläne zur Energieeffizienz als Bestätigung des deutschen Wegs. Sowohl das geplante Strommarktdesign als auch die angestrebte Reform der Erneuerbare-Energien-Richtlinie stießen dagegen auf Vorbehalte.

Es fehlten klare Investitionsanreize für Erneuerbare. „Hier werden wir im Laufe des Verfahrens noch nacharbeiten müssen“, sagte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

(energie-winde.de)