„Ein Neger ist Boxchampion. Ist der Weiße erledigt?“

Jack Johnson posiert mit dem Weltmeistergürtel
Jack Johnson posiert mit dem Weltmeistergürtel

Jack Johnson wurde 1908 erster schwarzer Schwergewichtweltmeister. Er protzte mit seinem Reichtum, scherte sich nicht um Rassentrennung und heiratete weiße Frauen – bis das weiße Amerika ihm den Prozess machte.

Mit über 110 Stundenkilometern raste der Wagen über den Highway 1 in North Carolina. In seiner Wut hatte Jack Johnson das Gaspedal ganz durchgetreten. Bei der Rast in einem Diner waren er und sein Begleiter zum Essen ins Hinterzimmer verwiesen worden. Weil sie schwarz waren. Viel zu schnell lenkte Johnson den Wagen in eine scharfe Kurve und verlor die Kontrolle. Das Auto schlitterte über die Mittellinie gegen einen Telefonmast. Sein Begleiter wurde aus dem Auto geschleudert, Johnson erlitt schwere Kopfverletzungen. Er starb am Nachmittag des 10. Juni 1946 im Krankenhaus.

Der Unfall beendete das Leben eines Ausnahmesportlers. Als erster Schwarzer hatte Jack Johnson sich 1908 den Titel des Boxweltmeisters im Schwergewicht erkämpft. Gegen alle Widerstände schaffte er es an die Spitze – weil er sich selbst nicht um Rassen scherte.

John Arthur Jackson wurde am 31. März 1878 als Sohn zweier ehemaliger Sklaven in Galveston (Texas) geboren. Erste Boxerfahrung sammelte er bei Straßenkämpfen. Obwohl Boxen in vielen US-Bundesstaaten – auch in Texas – illegal war, machte Johnson sich bei Preiskämpfen einen Namen.

Goldene Frontzähne, maßgeschneiderte Anzüge

Als er 1901 bei einem Trainingskampf mit Boxveteran Joe Chuynski erwischt wurde, verbrachten beide einen Monat im Gefängnis. Und nutzten die Zeit für Boxtraining. Johnson lernte, seine Größe von 1,87 Metern für sich zu nutzen: den Gegner auf Distanz halten, Schwächen abwarten, zuschlagen.

Die Lehrstunden machten sich bezahlt. 1902 konnte Johnson 27 Siege vorweisen, ein Jahr später gewann er den inoffiziellen Schwergewichtstitel der Schwarzen. Bis zu 1000 Dollar bekam er pro Kampf und hatte keine Scheu, seinen Reichtum zu zeigen. Johnson mochte Bling-Bling, ließ sich die Frontzähne vergolden, trug maßgeschneiderte Anzüge. Er hielt sich weiße Prostituierte als Geliebte in einer Zeit, als Schwarze schon für den Verdacht eines lüsternen Blickes gelyncht wurden.

Damit brachte er nicht nur Weiße gegen sich auf. „Mit der falschen Darstellung farbiger Menschen dieses Landes fügt dieser Mann nicht nur sich selbst Schaden zu“, rügte Schwarzenrechtler Booker T. Washington. Er glaubte, Schwarze müssten sich auf absehbare Zeit mit der Rassentrennung arrangieren. „Ich habe keinen besseren Weg gefunden, Rassenvorurteile zu vermeiden, als mit Menschen anderer Rassen zu verkehren – ganz so, als würden Vorurteile nicht existieren“, erwiderte Johnson.

Trash Talk: „Wo hast du Boxen gelernt? Bei deiner Mutter?“

Hartnäckig forderte er seine Chance auf den Schwergewichtstitel. Doch Champion Jim Jeffries weigerte sich bis zu seinem Ruhestand 1905: „Ich werde niemals gegen einen Neger kämpfen!“ Auch sein Nachfolger Tommy Burns ignorierte Johnson, bis der ihn sogar nach Europa verfolgte. Burns forderte schließlich 30.000 Dollar für den Kampf.

Johnson bekam seine Chance am 26. Dezember 1908 in Sydney. Der Kampf war eine Schmach für den Kanadier. Johnson spielte mit ihm, zeigte auf seinen Oberkörper: „Schlag mich hier, Tommy!“ Er lächelte, wenn Burns Körpertreffer landete. „Wo hast du Boxen gelernt? Bei deiner Mutter? Du kämpfst wie ein Mädchen“, reizte er ihn weiter.

Nach Johnsons Hieben stolperte Burns halb besinnungslos durch den Ring. Drohte er zu fallen, hielt Johnson ihn in den Armen. Zwei Jahre hatte er auf diesen Moment gewartet. Jetzt kostete er ihn aus.

Sekunden bevor Johnson den Champion zu Beginn der Runde 14 auf die Matte schickte, stoppte die Polizei den Kampf und die Fernsehkameras. Amerika sollte nicht sehen, wie ein Schwarzer einen Weißen niederschlägt. Johnson wurde zum technischen Sieger erklärt. „Ein Neger ist Boxchampion. Ist der Weiße erledigt?“, fragte die Detroit Free Press.

Ein neuer Gegner musste her. Eine „große weiße Hoffnung“ vom Kaliber eines Jim Jeffries. Johnson demontierte zwei Jahre lang einen Gegner nach dem anderen. Jeffries wurde zu einem Comeback gedrängt, um die Ehre der Weißen wiederherzustellen.

„Beeil dich nicht, ich kann das den ganzen Nachmittag machen“

Der Kampf wurde ein Riesenspektakel, angesetzt auf den Unabhängigkeitstag am 4. Juli 1910 in Reno, dotiert mit ungeheuren 110.000 Dollar. 12.000 Besucher und 500 Reporter strömten in die 15.000-Einwohner-Stadt in der Wüste Nevadas. 20.000 Zuschauer verfolgten das Spektakel im eigens dafür errichteten Stadion.

Ein grimmiger Jeffries stieg zum lächelnden Johnson in den Ring und verweigerte ihm den Handschlag. Jeffries griff sofort an, doch Johnson pflückte die Hiebe aus der Luft und teilte Haken aus. Er war auch ein Meister im Trash Talk, großmäulig wie viel später Muhammad Ali. „Beeil dich nicht, Jim“, sagte Johnson, „ich kann das den ganzen Nachmittag lang machen.“

Am Ende der 14. Runde waren Jeffries Augen beinahe komplett zugeschwollen, seine Nase war gebrochen. Blut klebte ihm im Gesicht und auf den Oberschenkeln. Nach einer Serie von Schlägen sackte er in Runde 15 in die Seile und versuchte sich aufzurappeln, doch Johnson schlug ihn erneut zu Boden. Und noch einmal. Als er zur vierten Attacke ansetzte, hallten wütende Rufe aus dem Publikum: „Lasst nicht zu, dass der Nigger ihn K.o. schlägt!“

Jeffries‘ Ecke warf das Handtuch. Während der Ringrichter Johnsons Arm hob und ihn zum Sieger erklärte, verließ die Mehrheit des Publikums das Stadion. Die Spannung entlud sich in den folgenden Tagen in Rassenunruhen. Überall im Land machten wütende Weiße Jagd auf Schwarze, Hunderte wurden getötet.

Im Ring war Johnson nicht zu besiegen. So wurde sein Lebensstil zur Angriffsfläche. Aus seiner Liebe zu weißen Frauen hatte Johnson keinen Hehl gemacht. Seine Gegner nutzten den Mann Act: Das Gesetz verbot ab 1910 den Transport weißer Frauen „zu unmoralischen Zwecken“ über Staatsgrenzen hinweg und sollte Prostitution verhindern.

Schuldig, urteilte die weiße Jury

Obwohl das Bundesgesetz nicht auf die Beziehung zweier Privatpersonen angewandt werden konnte, ermittelten die Behörden. Als sich Johnsons Geliebte Lucile Cameron weigerte, gegen ihn auszusagen, knöpfte sich die Staatsanwaltschaft seine Ex-Geliebte Belle Schreiber vor. Aufgrund der Drohung mit einer Gefängnisstrafe sagte sie aus.

Am 4. Juni 1914 wurde Johnson von einer ausschließlich weißen Jury schuldig gesprochen und zu einem Jahr und einem Tag Gefängnis verurteilt. Er floh nach Europa. Drei Wochen nach seiner Ankunft brach der Erste Weltkrieg aus. An Boxen war in Europa nicht mehr zu denken.

Am 16. April 1915 stieg die weiße Nachwuchshoffnung Jess Willard gegen den Champion in Havanna in den Ring. Johnson galt als unschlagbar, war aber bereits 37 Jahre alt und nicht gut im Training. Er verlor in Runde 26. Es dauerte 22 Jahre, bis erneut ein Schwarzer den Titel gewinnen sollte – der große Joe Louis, bis heute eine Symbolfigur diskriminierter Afro-Amerikaner.

Nach sieben Jahren im Exil stellte sich Johnson 1920 den Behörden und saß seine Strafe in Leavenworth ab. Kaum entlassen, forderte er eine neue Chance auf den Titel, vergeblich. Johnson schrieb seine Autobiographie und erfand einen Schraubenschlüssel zur Reparatur seiner Rennautos. Er betrieb den Nachtclub Club Delux, den Gangsterboss Owney Madden später in den legendären Cotton Club verwandelte. 1936 unterstützte Johnson die Wiederwahl des Demokraten Franklin D. Roosevelt. Um sich über Wasser zu halten, tourte er bis zu seinem Tod durchs Land und trat in Schaukämpfen auf.

Das Unrechtsurteil gegen Johnson wurde bis heute nicht aufgehoben. Seit 2004 bemühen sich Prominente wie der Filmproduzent Ken Burns, der Boxer Mike Tyson sowie die Politiker John McCain, Ted Kennedy und John Kerry um eine Begnadigung. George W. Bush ignorierte die Bitte, Barack Obama bislang ebenso.

(erschienen auf einestages)