Als Clinton das Impeachment traf

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US-Präsident Bill Clinton 1992 (Flickr)

Sex, Lügen, pikante Details: 1998 musste US-Präsident Bill Clinton wegen der Affäre mit Monica Lewinsky um sein Amt fürchten. Das Verfahren hielt Washington in Atem – das Volk zeigte sich unbeeindruckt.

Das Ergebnis der entscheidenden Abstimmung überraschte Doyle McManus nicht. Von der Pressetribüne des US-Senats sah der „Los Angeles Times“-Reporter am 12. Februar 1999 das Ende des Amtsenthebungsverfahrens gegen Bill Clinton. 45 Stimmen für schuldig des Meineids, 55 dagegen. 50 Stimmen für schuldig der Justizbehinderung, 50 dagegen. Bill Clinton wurde freigesprochen.

Das Ergebnis war für Presseleute wie McManus, seit 1994 Korrespondent im Weißen Haus, keine Überraschung: „Die Senatoren wussten von vorherigen Stimmzählungen bereits, dass Clinton freigesprochen werden würde. Und weil sie es wussten, wussten wir es auch. Nur die genauen Stimmzahlen waren offen.“ Eine Überraschung erlebte McManus aber doch: Republikaner und Demokraten schüttelten sich die Hände und gratulierten einander für die gute Arbeit. Die Amtsenthebung war gescheitert, aber das Verfahren – eines der wichtigsten Instrumente der US-Verfassung – hatte sich bewährt.

„Das Amtsenthebungsverfahren ist der einzige Weg, einen US-Präsidenten aus seinem Amt zu entfernen, abgesehen von Wahlen, Tod, physischer oder mentaler Handlungsunfähigkeit“, sagt David Alan Sklansky, Professor für Verfassungsrecht in Stanford. Wann ein solches Verfahren eingeleitet werden kann, legt die US-Verfassung in Artikel zwei, Kapitel vier fest: „Der Präsident sollte seines Amtes enthoben werden wegen Überführung des Landesverrats, der Bestechung und anderer schwerer Verbrechen und Vergehen.“ Unter letzterem verstanden die Autoren der Verfassung laut Sklansky schwere Fälle von Machtmissbrauch durch einen Präsidenten. „Dieser Passus deckt nicht unbedingt Verbrechen ab, für die jemand vor einem Gericht verurteilt werden könnte.“

Clinton wurden – wie jetzt Donald Trump – „schwere Verbrechen und Vergehen“ vorgeworfen. Der 42. US-Präsident war erst der zweite, der sich in einem Amtsenthebungsverfahren verantworten musste. 1868 wurde Andrew Johnson erfolglos wegen Entlassung eines Kabinettsmitglieds angeklagt. Richard Nixon entkam in der Watergate-Affäre nur knapp einem Verfahren, indem er seinen Rücktritt erklärte.

„Es gab keine unangemessene Beziehung“

„Das Verfahren gegen Bill Clinton war ein Missbrauch des Amtsenthebungsverfahrens“, sagt David Greenberg, Professor für Journalismus, Publizistik und Geschichte an der Rutgers-Universität. „Es basierte auf einer moralistischen, christlich-traditionellen, kritischen Betrachtung von Sex, die im politischen System nichts zu suchen hat.“ Dass es so weit kam, lag an einer Verschiebung der Machtverhältnisse im Kongress und Clintons persönlichen Schwächen. Schon im Wahlkampf 1992 waren Gerüchte um eine außereheliche Affäre Clintons mit Gennifer Flowers laut geworden. Die Wahl hatte er trotzdem gewonnen.

Zwei Jahre später holten die Republikaner zum ersten Mal seit 40 Jahren die Mehrheit im Kongress. Der Republikaner Newt Gingrich wurde Sprecher des Repräsentantenhauses. „Das war ein großer Schock“, sagt Greenberg. „Bis dahin herrschte das Gefühl, dass den Demokraten das Repräsentantenhaus quasi gehörte.“

Die neuen Machtverhältnisse führten 1995 zum Streit über den Haushalt und zum Shutdown. Während des einwöchigen Regierungsstillstands halfen Praktikanten als Mitarbeiter im Weißen Haus aus – unter ihnen die 22-jährige Monica Lewinsky. Sie und Clinton begannen eine 18-monatige Affäre. Lewinsky wurde im April 1996 ins Pentagon versetzt, wo sie die Verwaltungsangestellte Linda Tripp ins Vertrauen zog. Was Lewinsky nicht wusste: Tripp nahm die Gespräche mit ihr heimlich auf.

Im Dezember 1997 spielte Tripp die Audioaufnahmen den Anwälten von Paula Jones zu. Jones, eine ehemalige Mitarbeiterin Clintons während seiner Zeit als Gouverneur von Arkansas, hatte ein Zivilverfahren wegen sexueller Belästigung gegen Bill Clinton angestrengt. Nach Erhalt der Tapes luden Jones‘ Anwälte zunächst Lewinsky als Zeugin vor, dann Bill Clinton.

In seiner am 17. Januar 1998 auf Video aufgezeichneten Aussage bestritt der Präsident jeglichen sexuellen Kontakt. Am gleichen Tag berichtete die Presse erstmals über die Affäre – Tripp hatte die Aufnahmen auch an Reporter gegeben. Clinton erklärte einem Journalisten: „Es gab keine unangemessene Beziehung.“ Und wenige Tage später, während einer Pressekonferenz im Weißen Haus: „Ich hatte keine sexuellen Beziehungen mit dieser Frau, Miss Lewinsky. Ich habe niemals jemanden angestiftet zu lügen, nicht ein einziges Mal – nie.“

Wortklauberei vor der Grand Jury

Und noch jemand hörte in diesen Tagen von den Aufnahmen: Sonderermittler Kenneth Starr untersuchte seit 1994 Verwicklungen der Clintons in einen Skandal um Immobilienfinanzierungen in ihrem Heimatstaat Arkansas. Aber Starrs Team, darunter der heutige Supreme-Court-Richter Brett Kavanaugh und der amtierende stellvertretende Generalstaatsanwalt Rod Rosenstein, hatten in der Ermittlung der sogenannten Whitewater-Affäre und zu anderen Vorwürfen wenig Belastendes gefunden.

„Starr war gerade dabei, die Ermittlungen abzuschließen. Da kamen durch die Hintertür die Audioaufnahmen aus dem Paula-Jones-Verfahren ins Spiel“, sagt Greenberg. Lewinskys Aussage zur Affäre und Clintons Dementi unter Eid werteten die Sonderermittler als Meineid des Präsidenten – ein Vergehen, das ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertigen konnte.

Im Juli 1998 übergab Lewinsky den Ermittlern ein blaues Kleid, das ihrer Aussage nach DNA-Spuren des Präsidenten aufwies. Am 17. August 1998 sagte Clinton per Videoübertragung vor der Grand Jury aus und übte sich in Wortklaubereien: Auf die Frage, ob die Aussage „Da ist überhaupt kein Sex in irgendeiner Form“ wahr sei, erwiderte der Präsident: „Das hängt von der Bedeutung des Wortes ‚ist‘ ab.“ Im Präsens formuliert, sei die Aussage nicht falsch, weil es zum Zeitpunkt der Aussage keine sexuellen Handlungen gegeben habe. In der Vergangenheit, gab der Präsident zu, habe es jedoch „unangemessene Handlungen“ mit Lewinsky gegeben.

Noch am gleichen Tag wandte er sich in einer Fernsehansprache an die Amerikaner. „Wie Sie wissen, wurde ich im Januar zu meiner Beziehung mit Monica Lewinsky befragt. Während meine Antworten rechtlich zutreffend waren, habe ich Informationen zurückgehalten.“ Er entschuldigte sich öffentlich bei den Amerikanern und seiner Frau und kritisierte Sonderermittler Starr, seine Kompetenzen überschritten und ethische Regeln gebrochen zu haben.

Report voll expliziter Details

„Die Eliten in Washington mochten die Rede nicht. Da zeigte sich eine klare Teilung zwischen der medialen und der öffentlichen Meinung“, sagt Greenberg. Reporter wie McManus und das offizielle Washington konzentrierten sich auf rechtliche Details, die Clintons Schuld zu beweisen schienen. „Auf meinen Reisen durchs Land stellte ich fest, dass die meisten Amerikaner das Prozedere als eine bizarre Verfolgung Clintons für nachvollziehbare menschliche Fehler sahen, in ihren Augen war das keine Basis für ein Amtsenthebungsverfahren.“

Die öffentliche Meinung blieb auch mehrheitlich hinter Clinton, als Kenneth Starrs Report im September 1998 öffentlich wurde. Gespickt mit expliziten Details, provozierte er eine empörte Reaktion. Doch die richtete sich nicht gegen Clinton, sondern Starrs Team. „Vielen Leuten ging das zu weit. Mit dem Effekt, dass der Präsident ihnen menschlicher erschien und die Unterstützung für ihn zunahm“, so Greenberg. Trotzdem prüfte der Kongress ab Oktober ein Amtsenthebungsverfahren.

Die Republikaner um Newt Gingrich wollten mithilfe des Skandals bei den bevorstehenden Kongresswahlen ihre Mehrheit weiter ausbauen. Die Kampagne wurde zum Bumerang. Die Republikaner verloren bei den Wahlen fünf Sitze an die Demokraten, konnten ihre Mehrheit jedoch halten. Im Dezember stimmte der Kongress für eine Anklage in zwei Punkten. Erstens: Clinton habe mit seiner Aussage vor der Grand Jury im August Meineid begangen. Zweitens: Er habe die Justiz behindert, weil er Lewinsky und seine Sekretärin zu ihren Aussagen gecoacht habe und Geschenke an Lewinsky verschwinden lassen wollte. Damit war es am Senat, die Anklage gegen den Präsidenten zu eröffnen.

„Die Bande, die unsere Nation zusammenhalten“

Der Prozess begann am 7. Januar 1999 unter Vorsitz des obersten Supreme-Court-Richters William Rehnquist. 13 Republikaner übernahmen die Anklage, Bill Clinton wurde von acht Anwälten unter Führung von Cheryl Mills verteidigt. Nach vier Zeugenaussagen – Sonderermittler Kenneth Starr, Auszüge aus Videovernehmungen von Lewinsky und zwei Clinton-Vertrauten – hielten Ankläger und Verteidiger ihre Schlussplädoyers. Clinton-Verteidiger Charles Ruff brachte die Kontroverse über Clintons moralische Schwächen und seine präsidialen Stärken auf den Punkt: „Wir wissen um den Schmerz, den der Präsident unserer Gesellschaft und seiner Familie und seinen Freunden zugefügt hat. Aber wir wissen auch, wie viel der Präsident für dieses Land getan hat. … Fragen Sie sich, was Sie sich immer in dieser Kammer fragen: Was ist das Beste für das Land?“

Am 9. Februar zog sich der Senat zu Beratungen zurück. Um den Präsidenten seines Amtes zu entheben, brauchte es eine Zweidrittelmehrheit in der Abstimmung über die Anklagepunkte – 67 Stimmen für eine Amtsenthebung. Mit 45 zu 55 Stimmen für Meineid und 50 zu 50 Stimmen für Justizbehinderung fand sich in keinem der Anklagepunkte eine klare Mehrheit.

„Es spricht einiges dafür, dass die Anklage gegen Clinton nicht den Kern dessen traf, was die Autoren der Verfassung als ’schwere Verbrechen und Vergehen‘ beschrieben“, sagt Verfassungsrechtler Sklansky. Kein Demokrat sprach Clinton schuldig, fünf Republikaner stimmten gegen die Meineidsanklage, zehn gegen die Justizbehinderung. Am 12. Februar wurde Clinton freigesprochen.

Am Tag danach sagte Henry Hyde, führender Ankläger im Senat: „Alle Amerikaner können großen Trost in dem Wissen finden, dass der Kongress die Bande, die unsere Nation zusammenhalten, nicht geschwächt, sondern gestärkt hat, indem er diesem konstitutionellen Prozess treu geblieben ist.“

(einestages, Spiegel Online)