Standpauke für Hitler

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Adolf Hitler in Leni Riefenstahls Film „Triumph des Willens“ (Flickr)

Im Sommer 1943 traf Adolf Hitler den Schriftsteller und NS-Sympathisanten Knut Hamsun zum Tee. Doch das geplante Propagandatreffen mit dem norwegischen Nobelpreisträger endete im Eklat.

Joseph Goebbels war enttäuscht. „Leider ist der Besuch Hamsuns beim Führer etwas verunglückt“, notierte der Propagandaminister am 27. Juni 1943 geknickt in sein Tagebuch – und untertrieb damit maßlos. Hitler hatte den norwegischen Schriftsteller Knut Hamsun auf seinem Berghof am Obersalzberg empfangen. Das Treffen war als deutscher Propagandasieg geplant gewesen. Denn seit der Machtergreifung hatte Hamsun sich für das NS-Regime eingesetzt und sogar die Invasion in Norwegen verteidigt. Seinen Landsleuten galt er deshalb als Verräter.

Doch statt über Kultur zu plaudern, hatte der Gast den Führer mit einer Tirade über dessen Norwegen-Politik brüskiert. Wutschnaubend hatte Hitler das Gespräch schließlich abgebrochen und Hamsun einfach sitzen gelassen. Ein Propaganda-GAU.

In seinem im März 2016 auf Deutsch erscheinenden Buch „Die Reise zu Hitler“ beleuchtet der norwegische Literaturwissenschaftler Tore Rem den künstlerischen Aufstieg und die NS-Begeisterung Hamsuns – ohne sie als geistige Verirrung eines alten Mannes zu entschuldigen. Rems Buch belegt: Hamsun unterstützte die deutsche Rassenideologie; er war Mitglied der norwegischen Nazi-Partei „Nasjonal Samling“.

Vom Autodidakten zum Nobelpreisträger

Hamsun gilt als bedeutendster skandinavischer Schriftsteller seiner Zeit. 1859 als Knud Pedersen in ärmlichen Verhältnissen geboren, erhielt er nur 245 Tage Schulunterricht. Weil die Eltern nicht für jedes ihrer sieben Kinder sorgen konnten, schickten sie ihn als Arbeitskraft auf den Hof des Onkels. Dort hungerte er und wurde misshandelt. Sein einziger Trost war die Bibliothek des Onkels. Er brachte sich das Schreiben selbst bei und verfasste bald eigene Texte.

1890 erschien sein Debütroman „Hunger“ unter dem Pseudonym Knut Hamsun. Das Buch machte ihn über Nacht berühmt.

Mit dem Erfolg kam die Egomanie. Rem beschreibt Hamsun als schwierige Persönlichkeit – unsicher und verletzend, autoritär. Hamsun verspottete angesehene skandinavische Autoren für ihr moralisierendes Auftreten und politisches Engagement. Seinem Bruder ließ er gerichtlich verbieten, den Namen Hamsun zu führen.

„England muss auf die Knie!“

Schon früh wurde die Affinität der Nationalsozialisten zu Hamsun deutlich. Für „Segen der Erde“, die Geschichte des Bauern Isaks, der unter Mühen ein entlegenes Stück Moorland urbar macht, erhielt er 1920 den Nobelpreis. Die Nazis stilisierten es zum Blut-und-Boden-Epos. Der Roman war ein Bestseller im Deutschen Reich.

Und auch Hamsun drückte Sympathie für Nazi-Deutschland aus. 1934 verweigerte er etwa seine Unterstützung für die Freilassung des Journalisten Carl von Ossietzky, der Deutschlands heimliche Aufrüstung aufgedeckt hatte. Hamsuns Begründung: Man mische sich eben nicht in Deutschlands innere Angelegenheiten ein. Von Ossietzky starb 1938 an den Folgen seiner KZ-Haft.

Als die Nazis 1940 Norwegen besetzten, appellierte der Autor an seine Landsleute, den Widerstand aufzugeben. Nach einem Treffen mit Josef Goebbels im Mai 1943 sandte Hamsun ihm zum Dank seine Nobelmedaille: „Ich kenne niemanden, der für die Sache Europas und der Menschheit Jahr um Jahr so unermüdlich geschrieben und gesprochen hat wie Sie, Herr Reichsminister.“

Einen Monat später war der 83-Jährige Ehrengast beim Internationalen Journalistenkongress in Wien. Hunderte Journalisten wurden dort auf die NS-Linie eingeschworen. Hamsuns Rede glorifizierte den Krieg als Akt der Selbstverteidigung, beklagte eine jüdische Unterwanderung der Gesellschaft und forderte: „England muss auf die Knie!“ Im Anschluss erhielt er Hitlers Einladung auf den Obersalzberg.

„Wir wollen nicht mehr!“

Dort war die Stimmung angespannt: Der Afrikafeldzug war gescheitert, von allen Fronten wurden Rückschläge gemeldet. Alliierte Luftangriffe hatten schwere Schäden in Deutschland angerichtet. Das Treffen mit dem berühmten Kulturvertreter sollte den „Führer“ auf andere Gedanken bringen.

Am frühen Nachmittag des 26. Juni traf der Gast ein, sein Begleiter Egil Holmboe übersetzte. Bei einer Tasse Tee wandte sich Hitler an Hamsun: „Ich fühle mich, wenn nicht ganz, so doch stark mit Ihnen verbunden, weil unsere Leben in gewissen Hinsichten so ähnlich sind.“ Der Gast stimmte zu, wechselte aber gleich das Thema. Er wollte über Politik sprechen, die Linie war mit der „Nasjonal Samling“ abgestimmt: Hamsun sollte die Abberufung des von Hitler eingesetzten Reichskommissars Josef Terboven bewirken. Der war den Norwegern wegen seiner Brutalität und seiner ausbeuterischen Wirtschaftspolitik ein Dorn im Auge.

Hamsun kritisierte, Terboven beschränke die norwegische Schifffahrt zu sehr und sei nicht am Fortbestand Norwegens als Nation interssiert. Holmboe assistierte: Es gehe um die Akzeptanz des NS-Regimes innerhalb der norwegischen Bevölkerung. Hitler, irritiert vom Themenwechsel, versuchte es mit Floskeln. Da fiel Hamsun ihm ins Wort. „Die Art des Reichskommissars passt nicht zu uns. Seine Preußerei ist für uns unerträglich, und dann die Erschießungen! Wir wollen nicht mehr!“ Holmboe übersetzte den letzten Satz sicherheitshalber nicht.

Hitler begann einen Monolog über den „Schicksalskampf“ der Deutschen, als Hamsun ihn erneut unterbrach: „Warum müssen wir in Norwegen so unsicher sein?“ Ungehalten konterte Hitler, man hätte gar keine Regierung in Norwegen einsetzen müssen. Das sei aus gutem Willen geschehen. „Wir reden gegen eine Wand“, kommentierte Hamsun frustriert. Holmboe übersetzte die Äußerung nicht, doch Hitler war in Rage: Die Lage in Norwegen sei eine Nichtigkeit verglichen mit den großen Opfern, die das deutsche Volk gebracht habe!

Tagelange Wut

Hamsun insistierte, seine Vorgehensweise in Norwegen sei nicht richtig.

Jetzt reichte es Hitler. Dessen Sekretärin Christa Schroeder erinnerte sich später, wie der „Führer“ aus der Haut gefahren sei: „Seien Sie still! Darüber wissen sie nichts!“ Anschließend habe er ihn und Holmboe einfach sitzen gelassen.

„Solche Leute“ sollten nie wieder zu ihm vorgelassen werden, ereiferte Hitler sich anschließend. Noch tagelang, so Reichspressechef Otto Dietrich, habe er „äußerst drastisch“ über Hamsuns Auftreten geflucht.

„Außerordentlich peinlich“ sei die Angelegenheit, notierte Goebbels in sein Tagebuch. Sein Ministerium breitete eilig den Mantel des Schweigens über das Treffen, Fotos wurden vernichtet. Unbeirrt von den Reibungen trat Hamsun bis zur deutschen Kapitulation weiter als Fürsprecher Nazi-Deutschlands auf. Nach Kriegsende wurde er wegen Landesverrats zu einer Geldstrafe von 325.000 Kronen verurteilt. Reue zeigte er nie.

(erschienen auf einestages)