Prügeln, quälen, mit dem Hund kuscheln

Zellengang im KZ Ravensbrück
Zellengang im KZ Ravensbrück (Flickr)

Ins Ravensbrücker Konzentrationslager sperrten die Nazis ausschließlich Frauen. Aufseherinnen quälten und ermordeten Gefangene wie die junge Jüdin Olga Benario. Als sie versuchte, einer Mitgefangenen zu helfen, wurde sie brutal bestraft.

Im zwei mal zwei Meter großen Holzverschlag war es heiß, stickig und finster. Olga Benario kauerte auf einer Strohmatratze und bekam nichts außer einer Scheibe Brot und einem Becher Ersatzkaffee pro Tag. Musste sie auf die Toilette, tastete sie sich an der Wand entlang zu einem Eimer.

Olga konnte vor ihrer Zelle Dorothea Binz hören, die junge Aufseherin über den Strafblock und die Isolationszellen. Zum Dienst erschien sie stets mit perfekt frisiertem Blondhaar und akkurater Kleidung, begleitet von ihrem Hund. Mehr als ihn liebte Binz nur eines: prügeln und quälen. Die Gefangenen nannten sie „die schöne Bestie“.

Die Wege von Benario und Binz kreuzten sich im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, das die Nazis im Mai 1939 im Norden von Brandenburg eröffneten. Bis zur Befreiung 1945 waren dort mehr als 130.000 Widerständlerinnen, Kommunistinnen, Jüdinnen, Zeuginnen Jehovas, Prostituierte, Sinti und Roma inhaftiert. Die Frauen mussten Zwangsarbeit leisten, wurden geprügelt, gefoltert und Experimenten ausgesetzt. Wer nicht an Hunger und Entkräftung starb, wurde erschossen, vergiftet oder vergast.

Weil die meisten Ravensbrück-Dokumente vernichtet wurden, konnte die genaue Zahl der Ermordeten nie geklärt werden. 40.000 bis 50.000 waren es nach Schätzung der britischen Journalistin Sarah Helm. Sie befragte Überlebende, studierte britische und sowjetische Prozessakten sowie die wenigen verbliebenen NS-Unterlagen. Ihr Buch „Ohne Haar und ohne Namen“ erscheint jetzt auf Deutsch.

Eine Hochschwangere als Geschenk an Hitler

Sarah Helm gibt den Ravensbrücker Gefangenen eine Stimme. Ihr Buch ist eine umfassende Biografie des Lagers, das nie die gleiche Aufmerksamkeit wie Auschwitz oder Dachau fand. Und es zeigt, was Menschen einander antun können.

Olga Benario, 1908 in München geboren, war eines der Opfer. Als 14-Jährige schloss sich das hochgewachsene jüdische Mädchen mit den dunklen Haaren und den wachen Augen einer kommunistischen Zelle an. Sie ließ sich in Moskau von der Komintern ausbilden und reiste 1935 nach Brasilien, um den Putsch des Rebellenführers Luis Carlos Prestes zu unterstützen. Die beiden verliebten sich. Der Putsch scheiterte, die Gruppe wurde verhaftet. 1936 lieferte Brasiliens diktatorisches Regime die hochschwangere Olga nach Deutschland aus, als Geschenk an Hitler.

Nachdem sie im Gefängnis ihre Tochter Anita zur Welt gebracht hatte, wurde das Baby ihrer Schwiegermutter übergeben und Olga im Sommer 1939 nach Ravensbrück überstellt. Ein eilig beschafftes Visum blieb in der Post stecken. Mit Kriegsausbruch im September 1939 war Olgas Hoffnung auf Freilassung verloren.

„Zum Schluss möchte ich dir sagen, dass ich ständig von dir und der Kleinen träume – nur das Aufwachen morgens ist bitter“, schrieb sie an Luis Prestes, der in Brasilien in Haft saß. Bald darauf wurde sie zur Vorsteherin des „Judenblocks“ ernannt, musste dem SS-Personal zuarbeiten und jeden Morgen die Häftlinge rechtzeitig zum Antritt um 4.30 Uhr auf den Appellplatz treiben.

Händchenhalten beim Auspeitschen

Buchautorin Sarah Helm schildert grausame Szenen: Die Frauen stellten sich in Fünferreihen auf, die Hände dicht am Körper. Olga zählte den Block durch und meldete die Zahl an die Aufseherin. Dorothea Binz und ihre Kolleginnen marschierten auf und ab. Stand eine der Frauen nicht stramm, schlug Binz ihr ins Gesicht, bis Blut aus Mund und Nase floss. Oder malträtierte sie mit den Stiefelabsätzen. Oder hetzte ihren Hund auf sie.

In den Kriegsjahren arbeiteten insgesamt 3500 Aufseherinnen im KZ Ravensbrück. Dorothea Binz galt als eine der brutalsten. Die Förstertochter bewarb sich mit 19 auf die Stelle mit nobler Unterkunft und guter Bezahlung; viele Aufseherinnen waren im gleichen Alter. Tagsüber beaufsichtigten sie Häftlinge bei der Zwangsarbeit. Nach Feierabend gingen sie in Fürstenberg ins Kino, machten Bootsfahrten und flirteten mit SS-Offizieren.

Binz bandelte schon bald mit SS-Obersturmführer Edmund Bräuning an. Oft sahen die Gefangenen das Paar Händchen halten – vor allem, wenn eine der Frauen auf den Prügelbock geschnallt und ausgepeitscht wurde.

Prügelstrafen oder Isolationshaft erhielt, wer gegen eine der unzähligen Lagerregeln verstieß. So war es den Frauen verboten, sich gegenseitig zu helfen. Als Olga dennoch eine völlig entkräftete Frau zum Krankenrevier trug, wurde sie vom diensthabenden Arzt verprügelt und kam wochenlang in Isolationshaft. In einem ihrer letzten Briefe an Luis Prestes schrieb sie: „Ganz besonders habe ich hier gelernt, den wahren Wert alles Menschlichen zu erkennen.“

Folteralltag und Friseurbesuch

1941 begannen die Transporte der „Sonderbehandlung 14f13“ – ein Nazi-Kürzel für Tod durch Vergasung. Olga wurde im März 1942 selektiert und kurz darauf in der „Heilanstalt“ Bernburg ermordet. In ihrer Kleidung versteckte sie eine Warnung für Mithäftlinge: „Die letzte Stadt ist Dessau. Wir sollen uns ausziehen. Misshandelt worden sind wir nicht. Adieu.“

Ab 1942 wurden Frauen als Prostituierte nach Mauthausen, Dachau, Buchenwald und Flossenbürg geschickt, um die Arbeitsmoral der Zwangsarbeiter zu heben. Im direkt auf dem Gelände erbauten Siemens-Werk mussten Häftlinge Elektroteile für Kampfflugzeuge fertigen.

Zudem führte Nazi-Chirurg Karl Gebhardt grauenhafte medizinische Experimente durch. Auf der Suche nach einem Antibiotikum schnitt er gesunden Frauen die Beine auf und infizierte sie mit Bakterien. „Króliki“, polnisch für „Kaninchen“, nannten sich die Frauen selbst. Als Versuchskaninchen der Nazis wurden sie an Leib und Seele gefoltert, einige starben einen qualvollen Tod.

Unterdessen ließen sich Binz und Kolleginnen von Häftlingen die Haare machen. Ihre Besuche im Friseursalon des Lagers zählten zu den seltenen Gelegenheiten, bei denen Binz keine Gefangenen anschrie und schlug, erinnerten sich die Überlebenden.

Im Oktober 1944 gab Heinrich Himmler – Reichsführer der SS und Holocaust-Hauptorganisator – für Ravensbrück eine monatliche Todesrate von 2000 Gefangenen aus. Man sagte den Frauen, sie kämen in ein Erholungslager. Dann führte man sie durch den Wald zur neu errichteten Gaskammer.

Tod durch den Strang

Als die Rote Armee in den letzten Kriegsmonaten rasch näherrückte, tötete die SS immer hastiger. Mitten im Wahnsinn der NS-Massenmordmaschinerie konnte das Schwedische Rote Kreuz dennoch mit Himmler die Freilassung von Gefangenen aushandeln – die einzige im Zweiten Weltkrieg. 7500 Frauen wurden im April 1945 aus dem KZ Ravensbrück gerettet.

Kurz bevor die Russen kamen, versuchte die Lagerleitung um Kommandant Fritz Suhren alle Spuren der Menschenvernichtung zu tilgen. Die Gaskammer und der Prügelbock wurden abgebaut, SS-Unterlagen und Häftlingsakten verbrannt. Ravensbrück wurde am 30. April befreit, gut eine Woche vor Kriegsende.

Die Briten griffen Dorothea Binz auf der Flucht auf und machten ihr 1946 in Hamburg den Prozess. Die Aufseherin und ihre 15 Mitangeklagten plädierten auf nicht schuldig. Die 27-Jährige wurde zum Tod durch den Strang verurteilt und öffnete sich danach in ihrer Zelle die Pulsadern, wurde aber gefunden. Vor ihrer Hinrichtung am Morgen des 2. Mai 1947 wandte sie sich an einen anwesenden Offizier: „Ich hoffe, Sie glauben nicht, dass wir alle böse Menschen waren.“

In der Gedenkstätte Ravensbrück erinnert eine Statue an das Schicksal der Gefangenen. „Die Tragende“ – das ist Olga Benario. Sie blickt über den Schwedtsee, auf dessen Grund die Asche vieler Häftlinge sank. In den Armen hält sie jene unbekannte entkräftete Frau, die Olga 1941 hatte retten wollen.

(erschienen auf einestages, Spiegel Online)