Moses, der erste Amerikaner

Die Flaggen der USA und von US-Bundesstaat Texas
Die Flaggen der USA und von US-Bundesstaat Texas (flickr.com/hellamike81)

Texas führt neue Schulbücher ein und verklärt darin die US-Geschichte: Religiöse Einflüsse werden überhöht, Sklavenhandel als Auslöser des Bürgerkriegs heruntergespielt. Trotzdem unterrichten Lehrer womöglich bald im ganzen Bundesstaat damit.

Moses war ein Gründungsvater Amerikas. Diese Erkenntnis vermitteln die neuen Schulbücher für Sozialkunde und Geschichte, die mit Beginn des Schuljahres im US-Bundesstaat Texas ausgegeben werden.

Historiker und Bildungsorganisationen werfen den Büchern Geschichtsfälschung vor. In der Kritik stehen die Sozialkunde- und Geschichtsbücher der großen Bildungsverlage McGraw-Hill, Pearson Education und Houghton Mifflin Harcourt, aber auch kleinere Verleger wie Perfection Learning. Die neuen Lehrmaterialien werden nun an weiterführenden staatlichen Schulen ab der 9. Klasse eingesetzt, voraussichtlich ein Jahrzehnt lang.Fünf Millionen Kinder werden mit diesen neuen Büchern lernen, Texas ist der zweitgrößte Markt für Schulbücher. Deshalb richten Verlage wie McGraw-Hill und Pearson ihre Texte an den texanischen Standards aus und verkaufen die Bücher dann textlich unverändert in andere Bundesstaaten, um zusätzliche Druckkosten zu sparen – und so könnten die Bücher bald auch in Schultaschen von Jugendlichen in Louisiana oder Tennessee landen.

Weit hergeholt und schwer belegbar

Die Schüler lernen dann, dass die Gründungsväter sich beim Schreiben der US-Verfassung an den Ideen des Propheten Moses orientierten. „Woher hatten die Gründungsväter ihre Ideen?“, lautet eine Frage im Sozialkundebuch von Perfection Learning. Die nachfolgende Aufzählung listet Moses an erster Stelle auf, noch vor dem britischen Philosophen John Locke, dem französischen Staatstheoretiker Charles de Montesquieu und dem britischen Juristen William Blackstone.

Historiker kritisieren, dass Moses‘ angeblicher Beitrag zu den Grundideen der Verfassung nebulös bleibt. Zudem werde die Übermittlung der Zehn Gebote von einer biblischen Überlieferung zur historischen Tatsache verklärt. „Diese Bücher lehren Schüler, dass Moses der erste Amerikaner war“, rügt Kathleen Wellman, Geschichtsprofessorin an der Southern Methodist University.

Auch das Sozialkundebuch von Pearson Education liefert eine religiös eingefärbte Sichtweise. So zum Beispiel will das Buch den Schülern erklären, dass die Wurzeln der Demokratie in frühester Menschheitsgeschichte liegen: „Sie [die Wurzeln] reichen zurück ins antike Griechenland und Rom und beinhalten Elemente der jüdisch-christlichen Philosophie, die auf Texte im Alten Testament und biblische Figuren wie Moses und Salomon zurückgehen.“ Ein Zusammenhang, der mindestens weit hergeholt ist und vor allem: schwer belegbar.

Republikanisch besetztes Gremium erarbeitete die Standards

Doch auch die vergleichsweise junge Geschichte des Amerikanischen Bürgerkriegs wird im Geschichtslehrbuch von McGraw-Hill, nun ja, ungewöhnlich dargestellt: „Südstaatler beriefen sich auf staatliche Rechte, um die Abspaltung zu rechtfertigen.“ Dass es sich dabei um das Recht Sklaven zu halten handelte, wird verschwiegen. Dan Quinn, Sprecher der gemeinnützigen Organisation Texas Freedom Network, kritisiert das als Verschleierungstaktik. Die Bücher propagierten damit den Mythos, „die Konföderierten hätten für eine noble Sache wie staatliche Rechte gekämpft statt für eine grausame Institution, die den Verkauf und Besitz von Menschen erlaubte“.

Dass die kontroversen Textpassagen überhaupt in die Schulbücher gelangt sind, liegt am staatlichen Lehrplan in Texas: Die Schulbehörde legt die Standards für die Pläne fest, an ihnen müssen sich dann die Verlage orientieren, denn nur wenn die Schulbücher diesen vorgegebenen Standards entsprechen, werden sie für den Verkauf und Gebrauch in Texas freigegeben.

Der Lehrplan wurde zuletzt im Jahr 2010 vom Texas Board of Education überarbeitet. Die Standards, die das 15-köpfige Gremium beschloss, sorgten schon damals für Aufregung. Sie sind sogar noch viel weitreichender als das, was jetzt in den Schulbüchern steht: „Insgesamt geben die Bücher die Geschichte ausgewogener wieder als es die Standards verlangen. Aber bei einigen Punkten haben die Verlage offensichtlich gedacht, sie müssten den Forderungen der Schulbehörde entgegenkommen“, sagt Quinn.

Nur drei Historiker unter den Prüfern

Wäre es nach dem Willen des überwiegend republikanisch besetzten Gremiums gegangen, hätten die Lehrmaterialien weder die Rassentrennungsgesetze noch den Ku Klux Klan erwähnen müssen. Das Thomas B. Fordham Institute, eine konservative Bildungsdenkfabrik, gab den Standards die Schulnote D (in Deutschland eine vier) und warf ihnen politisch motivierte Verzerrung der Geschichte vor. Mit der Kritik konfrontiert, antwortete das ehemalige Board-Mitglied Don McLeroy in einem Fernsehinterview: „Einer der größten Kritikpunkte an den alten Büchern war, dass sie zu viele Details enthielten und es nicht möglich sei, all diese Dinge zu unterrichten.“ Deshalb habe man eben streichen müssen.

McLeroy verwies zudem auf die Prüfungskommissionen, die jeden Text noch einmal auf Fehler untersucht habe. Die Mitglieder dieser Kommissionen berief der Ausschuss allerdings selbst – und das Texas Freedom Network ermittelte, dass unter den mehr als hundert Prüfern nur drei Historiker waren.

Kritiker hoffen darauf, dass Lehrkräfte den Unterricht mit zusätzlichem Lehrmaterial anreichern, etwa aus dem Internet. „Es bleibt den Lehrern und Eltern überlassen, die Lücken in den Büchern zu füllen und unseren Kindern einen ausgewogenen Blick auf die amerikanische Geschichte zu vermitteln“, so Quinn. Seine Sorge: „Einige von ihnen haben leider die gleiche lückenhafte Geschichtsbildung genossen.“

(erschienen auf Spiegel Online)