Rebellin auf Rädern

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(Flickr)

Eine schwarze Frau auf dem Motorrad, unterwegs in den Südstaaten? Bessie Stringfield liebte ihre Harley Davidson und trotzte allen Risiken. Schon in den Dreißigerjahren knatterte sie allein durch die USA.

Als sie die Motoren röhren hörte, hielt es die neunjährige Bea Hines nicht länger auf dem Bürgersteig in Miami. „Meine Mutter hatte mich und meinen Bruder früh geweckt, damit wir einen guten Platz ergattern konnten“, erinnert sich Hines an den Morgen im Dezember 1947. Sie sprang auf und blickte erwartungsfroh in die Richtung der Motorengeräusche.

Acht Motorräder rollten heran, ganz vorn auf einer schweren Harley Davidson diese Frau. Das lange schwarze Haar quoll unter ihrem Helm hervor, sie trug Make-up zu einem stolzen Lächeln. „Sie hatte eine Ausstrahlung, die mich sofort in ihren Bann gezogen hat“, sagt Hines. Heute ist sie 81, erinnert sich aber lebhaft an die Szene.

Einmal im Jahr empfing die Florida A&M-Universität ein anderes schwarzes Topteam zum Football-Spiel. Das Match in der Nachsaison war das einzige, zu dem Afroamerikaner Einlass ins Stadion erhielten. Die Orange Bowl Classic Parade war dazu die Ouvertüre und führte durch Miamis vorrangig von Schwarzen bewohnten Stadtteil Overtown.

Die Frau, die den Festzug auf ihrer Harley anführte, war so besonders wie die Parade: Bessie Stringfield brauste Geschlechter- und Rassenressentiments einfach davon und machte sich selbst am wenigsten Gedanken darüber.

Schon in den Zwanziger- und Dreißigerjahren fuhr sie Motorrad, obwohl sich das für Frauen nicht ziemte. Sie durchquerte als Afroamerikanerin acht Mal die USA, obwohl Schwarze vor allem in den Südstaaten Diskriminierung und Gewalt fürchten mussten. Reisen war für sie lange riskant, Schwarze wurden oft beleidigt, bespuckt oder verprügelt.

Rätsel um die Herkunft

Im Zweiten Weltkrieg meldete sich Stringfield freiwillig zum Dienst an der Heimatfront. „Ihr wird heute mehr Interesse und Achtung entgegengebracht als zu Lebzeiten“, sagt Bea Hines. Erst knapp ein Jahrzehnt nach ihrem Tod wurde die Pionierin in die Hall of Fame der American Motorcyclist Association aufgenommen.

Im Juni 2018 veröffentlichte die „New York Times“ einen Nachruf in der Reihe „Overlooked No More“ über zu Unrecht übersehene Persönlichkeiten. Die Journalistin und Buchautorin Ann Ferrar war mit Stringfield befreundet und schreibt seit den Neunzigerjahren über ihr Leben. Seit Stringfields Tod 1993 arbeitet sie an der Biografie „African-American Queen of the Road. The Untold Story of Bessie Stringfield. A Memoir of Race, Resilience and the Road“.

Ann Ferrar selbst fuhr jahrelang BMWs und Hondas. Sie traf Stringfield 1990, als ein Museum in Ohio Motorrad-Frauen ehrte. „Mir fiel ein handgezeichnetes Porträt einer jungen schwarzen Frau auf, die an einer Harley lehnte.“ Davor stand bei der Ausstellungseröffnung eine kleine, ältere Dame: „Die Leute waren an ihr vorbeigelaufen. Sie dachten wahrscheinlich, sie sei eine Museumsangestellte, denn sie trug eine Uniform und eine Mütze.“

Die Zeichnung zeige sie, erklärte Stringfield, damals 79. Mit der mehr als vier Jahrzehnte jüngeren Ann Ferrar verband sie bald eine Freundschaft. Bevor Stringfield 1993 starb, erlaubte sie Ferrar, ihre Biografie zu schreiben.

Her mit der Harley

1911 sei sie auf Jamaika geboren worden, habe ihre Mutter früh verloren und sei mit dem Vater in die USA gekommen, der sie in den Straßen von Boston zurückgelassen habe, erzählte Bessie Stringfield. Dann habe eine irisch-katholische Dame sie adoptiert.

Die „New York Times“ jedoch ermittelte anhand von Sozialversicherungs- und Zensusdaten und nach Gesprächen mit einer Nichte Stringfields, dass sie in North Carolina geboren und von ihren leiblichen Eltern aufgezogen wurde. „Bessie hatte Konflikte in ihrer Vergangenheit und entschied sich, vor ihnen zu flüchten“, erläutert Ferrar die Unstimmigkeit, die sie in ihrem Buch aufklären will.

Sicher ist, dass Stringfield in den Zwanzigerjahren in North Carolina aufwuchs. In Großstädten dominierte das „Jazz Age“ mit Musik und Tanz das Nachtleben, in landwirtschaftlich geprägten Staaten litten Farmerfamilien unter Armut. Landesweit erhielten Frauen 1920 das vollständige Wahlrecht; zur gleichen Zeit terrorisierte und ermordete der Ku-Klux-Klan Schwarze und Andersgläubige. Nach Einführung der Prohibition begann die illegale Alkoholproduktion. Dem Rausch folgte der Kater: 1929 stürzte der Börsencrash am Schwarzen Freitag die USA in die Große Depression.

Die junge Bessie bekam derweil ihr erstes Motorrad, eine Indian Scout. Doch ihr Herz schlug für Harley Davidson, bald gehörte ihr eine Hawk. 28 Motorräder sollte sie im Laufe ihres Lebens besitzen, alle paar Jahre gab sie ihr altes Modell in Zahlung im Tausch für ein neues.

Auf dem Motorrad übernachtet

Ein Foto zeigt Bessie Stringfield mit einer ihrer ersten Maschinen: Sie trägt ein hübsches Ensemble aus hellem T-Shirt und Rock. Stolz und mit glücklichem Lächeln stützt sie sich mit der linken Hand auf den Sattel und hat die rechte am Lenker. „Sie mochte diese großen Maschinen und wusste sie zu beherrschen. Ich glaube, das war eine Herausforderung für sie“, sagt Bea Hines.

Die erste Maschine sei ein Geschenk der Adoptivmutter gewesen, ihre Fahrkünste verdanke sie „dem Mann da oben“, lautete Stringfields Erklärung ihrer Anfänge im Sattel. „Sie bestand darauf, dass Gott ihr beibrachte, wie sie die Instrumente ihrer ersten Maschine bediente, und dass er sie auf ihren Reisen stets beschützte“, sagt Ferrar.

In den Dreißigerjahren brach Stringfield zu ihrer ersten Tour durch die USA auf. Sie war als Frau allein unterwegs und fuhr als Schwarze in den Südstaaten durchs Kerngebiet des Ku-Klux-Klans – aber Ängste schienen sie nicht zu plagen. Wurde ihr wegen ihrer Hautfarbe ein Hotelzimmer verweigert, übernachtete sie bei Reisebekanntschaften oder schlief an Tankstellen auf ihrer Harley. „Bessie Stringfield stand Vielfalt offen gegenüber und hat diese Offenheit in manch schwierigen Situationen selbst erfahren“, so Ferrar.

In ihrer „Uniform“ – Stiefel, Hosen, breiter Gürtel und Hemd – brauste Stringfield selbstbewusst durch Amerika, die langen schwarzen Haare und die Fransen ihrer Satteltaschen flatterten im Fahrtwind. Wo es noch längst keine Highways gab, holperte sie über unbefestigte Straßen und durch einsame Landstriche. „Manche weißen Südstaatler waren überrascht und sogar begeistert, als sie eine schwarze Frau auf einem Motorrad sahen“, sagt Ferrar. „Der weiße Besitzer eine Tankstelle war so beeindruckt von ihrer Chuzpe, dass er sie umsonst auftanken ließ.“

Bikerin noch als 70-Jährige

Wenn Stringfield Geld brauchte, nahm sie Jobs als Haushaltshilfe oder Nanny an und schwang sich nach einigen Monaten wieder in den Sattel. Tricks führte sie auch vor: „Sie stand während der Fahrt im Sattel ihrer Harley oder schwang sich von einer Seite zur anderen und zeigte ihre Geschicklichkeit und Balance.“

Als die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, meldete Stringfield sich freiwillig für den Einsatz an der Heimatfront. In einer Einheit mit sechs afroamerikanischen Männern fuhr sie als Kurierin Nachrichten zwischen Army-Stützpunkten hin und her. „Militärgeheimnis“ murmelte sie nur, als Ferrar nach dem Inhalt fragte.

Nach dem Krieg ließ sie sich in Miami nieder und wurde dank ihrer Tricks für die Orange Bowl Classic Parade engagiert. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, machte sie eine Ausbildung zur einfachen Krankenschwester. Sie gründete den Iron Horse Motorradklub und brauste mit Gleichgesinnten noch mit über 70 Jahren über die Straßen Miamis. So erregte sie 1981 die Aufmerksamkeit von Bea Hines, die inzwischen als Kolumnistin beim „Miami Herald“ arbeitete.

Hines traf Stringfield in ihrem bescheidenen Haus am Rande Miamis. Es steckte voller Erinnerungsstücke an ihre Abenteuer, und Stringfield zog ein Foto heraus – die junge Bessie auf ihrer Harley in der Vorhut der Parade. „Ich kenne Sie“, rief Hines: Vor ihr saß die Frau, die sie als Neunjährige so schwer beeindruckt hatte.

(einestages, Spiegel Online)