Die giftigen Folgen des Sturms

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Nationalgarde im Einsatz während Hurrikan „Harvey“ (Flickr)

Hurrikan „Harvey“ brachte nicht nur Sturmschäden und Überflutungen: In Houston gelangten durch Lecks auch Benzin und Öl in die Böden. Die Industrie lässt Anwohner mit dem Problem allein, der Staat Texas deckt die Ignoranz.

Als Juan Flores am 31. August 2017 im Houstoner Stadtteil Galena Park auf seine Veranda trat, stieg ihm ein stechender Benzingeruch in die Nase. Seine Augen begannen zu brennen, der Geruch war kaum auszuhalten. Seine Nachbarn und Freunde nahmen den Gestank ebenfalls wahr. Auf Facebook tauschten sich die besorgten Anwohner aus und überlegten, was zu tun sei. Flores riet ihnen, die Notfall-Hotline der Texas Commission for Environmental Quality (TCEQ) anzurufen. Doch bei der Umweltbehörde habe niemand abgenommen.

Houston kämpfte damals mit Überflutungen durch Hurrikan „Harvey“. Notfallhelfer waren tagelang damit beschäftigt, Einwohner aus ihren Apartments und Häusern zu retten. Unzählige Menschen verloren ihr Hab und Gut, der Schaden des Hurrikans wird auf bis zu 180 Milliarden Dollar geschätzt. In den Ausfallstraßen von Galena Park stand das Wasser so hoch, dass sie unpassierbar waren. Juan Flores und seine Nachbarn saßen fest.

Galena Park ist ein industriell geprägter Stadtteil östlich vom Stadtkern und liegt direkt am Schiffskanal von Houston. Die Ölkonzerne Valero und Shell, der Petrochemiekonzern Chevron Phillips Chemical und der Düngemittelhersteller American Plant Food Corporation lagern und verschiffen von dort aus ihre Waren. Der Energiekorridor in und um Houston ist der größte der USA: Rund 500 Chemiewerke, zehn Raffinerien und mehr als 10.000 Kilometer Pipelines befinden sich in der Gegend. „Hier riecht man ständig irgendwas, aber so schlimm wie nach ‚Harvey‘ war es noch nie“, sagt Flores.

Der Gestank, der Juan Flores am 31. August in die Nase stieg, zog von der Magellan Raffinerie herüber, kaum vier Kilometer von seinem Haus entfernt. Harveys Fluten hatten ein Leck in einen Vorratstank geschlagen. In einer ersten Schätzung hatte das Unternehmen die ausgetretene Menge Benzin und verschmutzten Wassers auf knapp 160.000 Liter geschätzt. Später stellte sich heraus, dass 1,7 Millionen Liter ausliefen – und auch toxische Dämpfe wurden freigesetzt.

Das Magellan-Leck ist der größte Fall von Umweltverschmutzung durch Hurrikan „Harvey“. Der „Houston Chronicle“ hat gemeinsam mit der Nachrichtenagentur Associated Press recherchiert, dass die „Harvey“-Fluten zu mehr als 100 Unfällen führten, bei denen Öl, Gas oder Chemikalien in die Umwelt gelangten. Laut den Recherchen sind bei Weitem nicht alle dieser Vorfälle den Behörden gemeldet worden – auch die Anwohner seien nicht immer gewarnt worden.

Der texanische Gouverneur Greg Abbott setzte noch während des Sturms geltende Melde- und Protokollierungspflichten außer Kraft. Umweltverschmutzungen in Folge der Naturkatastrophe blieben ungestraft, wenn sie die Folge eines „Akt Gottes“ oder einer Katastrophe seien. Erst im April wurden die üblichen Meldepflichten wieder in Kraft gesetzt.

„Wir erwarten hier gar nichts von den zuständigen Behörden“, sagt Juan Flores. Er arbeitet für die Houston Air Alliance, eine lokale Non-Profit-Organisation, die sich für saubere Luft in und um Houstons Industriekorridor engagiert.

Flores hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine Nachbarn aufzuklären. Er engagiert sich für ein besseres Warnsystem mit Sirenen und offener Kommunikation der Unternehmen. Doch viele seiner Nachbarn und Freunde haben Familienmitglieder, die in einer der Industrieanlagen arbeiten. „Es ist ein zweischneidiges Schwert, sich gegen Luftverschmutzung zu engagieren, wenn man aufgrund seines Jobs von diesen Akteuren abhängig ist“, sagt Flores.

Lufterfrischer aufgestellt

Im Falle eines Unfalls sollen Unternehmen die Anwohner eigentlich mit automatischen Warnanrufen unterrichten. „Diese Anrufe gehen aber an Festnetznummern und die meisten hier haben gar kein Festnetz mehr“, sagt Flores. Sein Telefon sei stumm geblieben Also blieben er und seine Familie im Haus, die Nachbarn taten das Gleiche. Manche stellten Lufterfrischer in jedem Raum auf.

Der starke Gestank verflüchtigte sich zwar innerhalb eines Tages, doch wo genau die toxischen Substanzen versickert sind und wie schädlich die freigesetzten Dämpfe waren, dazu hat Magellan den Anwohnern bis heute keine Auskunft gegeben. Sie haben keine Informationen über die Auswirkungen des Lecks auf die Luft- und Bodenqualität ihrer Umgebung. Die zuständigen Behörden – die TCEQ und die staatliche Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) – haben nur sehr vereinzelt Proben genommen.

Das ist eine verschwindend geringe Aufklärungsarbeit im Vergleich zu den Anstrengungen, die New Orleans nach Hurrikan „Katrina“ unternahm: Mehr als 1800 Proben nahmen die EPA und bundesstaatliche Behörden innerhalb von zehn Monaten nach der Katastrophe, um die Umweltschäden zu katalogisieren und Aufräumarbeiten zu organisieren. „Diesmal ist die Reaktion komplett anders“, sagte Umweltsoziologe Scott Frickel dem „Houston Chronicle“. Er nannte die Handhabung der Umweltschäden vonseiten der EPA und der texanischen Behörden unzumutbar.

Der Vorsitzende der TCEQ, Bryan Shaw, weigerte sich bei einer Anhörung im Januar sogar, öffentlich zu den Umweltschäden Auskunft zu geben: Er könne nichts dazu sagen, solange seine Mitarbeiter noch keinen abschließenden Bericht erstellt hätten. Wann es einen solchen Bericht geben soll, ist ungewiss.

Unabhängig von „Harvey“ finden Unternehmen, deren Geschäft traditionell nicht gerade umweltschonend ist, in Texas gute Bedingungen vor. So hatte etwa der heutige Gouverneur Greg Abbott als texanischer Generalstaatsanwalt mehrmals gegen Umweltregulierungen aus Washington geklagt, weil er sie übertrieben fand. Staatliche Prüfer warfen der texanischen Behörde TCEQ in der Vergangenheit vor, das Eintreiben von Strafzahlungen zu verschleppen. Einer Studie zufolge belegte die Behörde zwischen 2011 und 2016 nur drei Prozent aller texanischen Luftverschmutzer mit Strafzahlungen.

Neue Gesetze machen es zusätzlich schwer, Umweltsünder zu verfolgen: Seit 2015 können Gemeinden nur maximal 2,15 Millionen Dollar Strafe kassieren, Gelder darüber hinaus fließen in die bundesstaatlichen Kassen. Seit 2017 müssen sich Gemeinden im Falle von Umweltverschmutzungen zudem zunächst an den Bundesstaat wenden, der sich das Recht vorbehält, Strafverfahren gegen die Sünder zu untersagen. Den Gemeinden sind damit beinahe die Hände gebunden, wenn sie Unternehmen für ihre Verantwortung in der Kommune zur Rechenschaft ziehen wollen.

(Spiegel Online)