Der bessere Tequila

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(Flickr)

Sotol gilt als cooler kleiner Verwandter des Agavenschnapses. Der aus einer stacheligen Wüstenpflanze gewonnene Saft beeindruckt mit komplexem Geschmack.

Für Liebhaber von Tequila begann das Jahr mit einer Hiobsbotschaft. Dem Markt droht ein Engpass, weil nicht genügend Agavenpflanzen für die Schnapsproduktion zur Verfügung stehen. Die Nachfrage nach Tequila ist im vergangenen Jahrzehnt so kräftig gewachsen, dass die 17,7 Millionen Pflanzen, die 2011 in Mexiko angebaut wurden, den Bedarf von 42 Millionen Pflanzen bei weitem nicht decken. In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Preis für Agave-Pflanzen versechsfacht. Ein Kilogramm kostet mittlerweile 22 Pesos, umgerechnet einen Euro.

Tequila-Produzenten haben damit begonnen, jüngere Pflanzen für die Produktion heranzuziehen. Die Folge: Das Angebot wird sich in den kommenden Jahren noch weiter verknappen – weitere Preissteigerungen inklusive.

Der Engpass begünstigt den Aufstieg einer unscheinbaren Wüstenpflanze: Dasylirion wächst an der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko. In Nordamerika ist die Pflanze wegen ihrer markant geformten stacheligen Blätter als desert spoon (Wüstenlöffel) bekannt. Die Mexikaner nennen die Pflanze Sotol und gewinnen aus ihr den gleichnamigen Schnaps. Der Geschmack reicht von nadelig und grasig bis erdig und pfeffrig.

Unter Schnapsbrennern bekannt als Honigwasser

Die Produzenten von Don Cuco Sotol preisen den Schnaps als „eines der raffiniertesten Getränke der Welt“. Seine aromatische Vielfalt hat das Interesse von Kennern geweckt. Immer mehr Bars in den Vereinigten Staaten nehmen den Hochprozentigen in ihre Karte auf. Auch in Deutschland sind erste Genießer auf den Geschmack gekommen, obwohl Sotol hierzulande noch schwieriger zu finden ist. Er harmoniert mit Citrus-Noten, kann anstelle von Gin verwendet oder mit Bitter und Wermut zu einem trocken-rauchigen Cocktail gemixt werden. Auch pur und auf Eis kann man ihn genießen – Limetten und Salz darf man dabei getrost weglassen.

Mexikanische Destillerien vermarkten Sotol als hippen Verwandten von Tequila, der es sogar mit dessen Premium-Sorten aufnehmen könne. Tatsächlich haben die beiden einiges gemeinsam: Agave und Sotol gehören beide zur Familie der Spargelgewächse und brauchen mehrere Jahre bis zur Reife – die Agave zwischen sieben und acht, Sotol bis zu 15 Jahre. Sotol wächst in trockenen Waldgebieten, Steppen, im Grasland und an steilen Hängen im ariden Süden der Vereinigten Staaten und im nördlichen Mexiko. Während der Reifezeit beeinflussen die Mineralien und der Säuregehalt des Bodens den Geschmack der Pflanze. Deshalb hat das fertige Produkt eine solche Bandbreite an Geschmacksrichtungen. Selbst eine in der Nähe wachsende Chili-Pflanze kann dem Schnaps eine feine scharfe Note geben.

Bei der Ernte werden die Blätter abgeschlagen, das Herz der Pflanze gekocht, anschließend zerkleinert und gepresst, um den Saft zu gewinnen. Die Schnapsbrenner nennen ihn Aguamiel – Honigwasser. Dem Saft wird Hefe zugegeben, damit er fermentiert. Anschließend wird das Gebräu destilliert. Eine Pflanze ergibt genau eine Flasche Sotol. Die Anbau- und Produktionsgebiete sind reguliert: Nur das Destillat aus den Regionen Chihuahua, Coahuila oder Durango darf sich Sotol nennen.

Wie bei Tequila unterscheidet man drei Altersklassen: Blanco wird zweifach destilliert und direkt abgefüllt. Reposado wird zweifach destilliert und danach mindestens zwei Monate in Eichenholz-Fässern gelagert. Añejo wird dreifach destilliert und lagert mindestens ein Jahr in Eiche.

Mehr als 300.000 Liter Sotol produziert

Während Tequila in den vergangenen Jahren in die Riege der Premiumalkohole aufgestiegen ist und von Prominenten wie George Clooney und Justin Timberlake beworben wird, haftet Sotol das Image eines Rauhbeins an.

Die Gründe dafür liegen in seiner einzigartigen Geschichte. In Mexiko ist Sotol seit Jahrhunderten bekannt. Der Name kommt aus der Aztekensprache: Tzotolin bezeichnete sowohl die Pflanze als auch den aus ihr gewonnenen Alkohol. Die Ureinwohner nutzten die Säfte als Heilmittel und fermentierten sie vor über 800 Jahren zu Bier.

Während der Eroberungszüge im 16. Jahrhundert stießen die spanischen Konquistadoren auf das Getränk. Sie verfügten über die nötige Technik, um den Saft auf die nächste, hochprozentige Stufe zu heben: Mit Hilfe von Destillierapparaten verarbeiteten sie ihn zu Schnaps statt Bier und verbreiteten Sotol auch außerhalb Mexikos.

Der Schnaps war bald so beliebt, dass im mexikanischen Bundesstaat Chihuahua in den Dreißigern jährlich mehr als 300.000 Liter Sotol produziert wurden. Auch im südlichen Texas versuchten sich Farmer an der Schnapsbrennerei. Während der Prohibition avancierte Sotol zur beliebten Schmugglerware im benachbarten Texas und Arizona. Im Sommer 1931 nahmen texanische Grenzbeamte den Ölbaron Erle P. Halliburton in El Paso in Gewahrsam, nachdem sie in seinem Privatflugzeug zehn Kisten voller Hochprozentigem entdeckt hatten. Halliburton kam um einen Prozess herum, musste aber 13.000 Dollar Strafe zahlen – damals ein unglaubliches Vermögen.

Mit dem Ende der Prohibition begann für Sotol eine Periode der Stigmatisierung. Die mexikanische Regierung förderte die Produktion von einheimischem Bier und importierte hochprozentigen Schnaps aus dem Ausland. Sotol wurde als billiger Selbstgebrannter und als Bauerngetränk abgestempelt. Die Behörden gingen radikal gegen Produktionsstätten vor: Destillerien wurden niedergebrannt, wer Widerstand leistete, wurde festgenommen. Manche Kinder bekamen von ihren Eltern ein Gewehr in die Hand gedrückt und mussten während der Produktion Wache stehen, falls die Regierungstruppen zur Razzia anrückten. Erst in den 1990er Jahren gab die Regierung wieder erste Lizenzen zum Sotol-Brennen aus.

Darunter Marihuana und Peyute, ein psychoaktiver Kaktus

Während der „Sotol-Verfolgung“ in die Illegalität gezwungen, bestehen manche Brennereien heute in zweiter oder dritter Generation. Ihre Sotol-Meister haben das Handwerk von Eltern und Großeltern gelernt und legen Wert auf alte Traditionen: Statt die Sotol-Herzen zu kochen, rösten die Brennereien Fabriquero, Sotol Por Siempre, La Niña de Mezcal und Flor Del Desierto sie mindestens drei Tage lang in Erdöfen, damit die Aromen der Pflanze im Endprodukt stärker hervortreten.

Der Sotol-Meister von Oro de Coyame, Gerardo Ruelas Hernández, greift für seine Sotol-Sorte Elixir auf indigene Traditionen zurück und reichert ihn mit 27 regionalen Kräutern an, darunter Marihuana und Peyute, ein psychoaktiver Kaktus. Selbst Sotol mit Schlangengift wird produziert. Dafür werden die Tiere gemolken oder ihr Fleisch in der Flasche eingelegt. Chinesische Arbeiter, die für den Bau der Transkontinentalen Eisenbahn in den 1860er Jahren zu Tausenden ins Land kamen, hatten die Schlangenvariante inspiriert: Sie tranken sie am Ende ihrer harten Arbeitstage, weil Schlangenschnaps traditionell Heilkräfte nachgesagt werden. Beide Sorten sind in Deutschland nicht zu finden: Sie verstoßen gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Anders als der Markt für Tequila wird derjenige für Sotol noch nicht von der großen Industrie dominiert. Die Pflanzen wachsen nicht auf Plantagen, sondern wild und werden von einer Handvoll Brennereien in Mexiko verarbeitet. Erste Unternehmer wittern bereits ein Geschäft: In Texas haben sich drei Veteranen in der Desert Door Distillery zusammengetan. Die Flaschen für ihren Schnaps werden in Mexiko gefertigt, die Pflanzen stammen hingegen aus Texas und werden vor Ort verarbeitet. Desert Door Texas Sotol heißt das Endprodukt, und die Ambitionen der Jungunternehmer sind hoch: Sie wollen Sotol made in Texas zum Aufstieg verhelfen, damit er so bekannt wird wie Bourbon aus Kentucky und Whiskey aus Tennessee.