Blutbad im Bergidyll

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(Flickr)

Zwei Schrotflinten und christlich-verschrobene Ansichten führten 1992 zur Belagerung einer Berghütte in Idaho. Eine Familie traf auf Scharfschützen, Helikopter und Polizei-Hundertschaften – mit tödlichen Folgen.

Die Sonne streifte sanft über die Baumwipfel auf dem Berg und schien durch die Fenster der Berghütte. Vögel sangen ihren Weckruf, da durchbrach eine blecherne Stimme die Stille des milden Augustmorgens: „Guten Morgen, Vicki. Wir haben Pancakes. Vicki, du solltest mit den Kindern zum Frühstück kommen!“

Vicki kam nicht zum Frühstück, nie wieder. Sie lag mit einer Kugel im Kopf tot auf dem Küchenboden. Ihr Ehemann Randy Weaver, drei der vier gemeinsamen Kinder und ein Freund der Familie harrten verstört im Inneren aus. „Ihr habt meine Frau erschossen, ihr feigen Hurensöhne“, brüllte Randy schmerzerfüllt gegen die Megafon-Stimme an.

Ruby Ridge, die einsame Hütte auf einem Berggipfel in Idaho, war der Lebenstraum von Randall und Vicki Weaver: Sie wollten mit ihren Kindern ein einfaches Leben in der Natur führen. Doch Ruby Ridge wurde zum Symbol für übertriebenes Vorgehen der US-Regierung gegen einfache, gottesfürchtige Bürger. Die elftägige Belagerung des Weaver-Grundstücks durch US-Behörden und ihre tödlichen Folgen riefen 1992 landesweit Entsetzen hervor.

Die militante Rechte nutzt die Ereignisse auf dem Berggipfel bis heute als Munition für regierungsfeindliche Ansichten: Der Fall sei ein Symbol für den Kampf auf Leben und Tod mit der Regierung. Einer Regierung, die einfache Bürger wegen ihrer religiösen Ansichten und ihrer Waffen verfolge. Der Regierung dient die Operation als mahnendes Beispiel für gescheitertes Krisenmanagement – was allerdings einige Monate später das Drama in Waco, wo sich eine schwer bewaffnete Sekte verschanzt hatte, nicht verhinderte.

Vision von einem einfacheren Leben

Die Weavers zogen Anfang der Achtzigerjahre auf den Berg in Idaho. Randall und Vicki waren in Farmerfamilien in Iowa mit starken religiösen Überzeugungen aufgewachsen. Randy war zur Army gegangen und wurde in der Kampftruppen-Spezialeinheit der Green Berets ausgebildet. Nach der Hochzeit mit Vicki nahm er einen Job in einer Traktorfabrik an; sie arbeitete als Sekretärin.

Das Paar bekam drei Kinder: Sara, Sam und Rachel. Bald spürten sie die Wirtschaftskrise der Siebziger. Farmer verloren ihr Land, Arbeiter ihre Jobs, Spritpreise stiegen.

Randy und Vicki suchten Halt im Glauben und sahen in religiösen Schriften Parallelen, die aktuelle Ereignisse zu erklären schienen: Erdbeben, Hungersnöte und Kriege als vermeintliche Vorzeichen einer nahenden Apokalypse. Schließlich hatte Vicki eine Vision – sie sollten nach Westen ziehen und einen Berggipfel finden. Dort würden sie sicher sein.

Das Leben auf dem Berg war entbehrungsreich, das Geld knapp. Vicki Weaver bekam ihr viertes Kind, Elisheba. Randy nahm kleine Jobs an. Manchmal kaufte und verkaufte er Waffen, um etwas dazuzuverdienen.

Die Weavers besuchten Familienpicknicks der Aryan Nations. Die Organisation vereint Bikergruppen, Rechtsradikale, Christen und Aussteiger unter dem Nenner, dass Weiße die bessere Rasse seien und dass es sich ohne die Einmischung der Regierung besser lebe. Für ein paar Hundert Dollar sägte Randy einem Teilnehmer die Läufe zweier Schrotflinten ab. Der Auftraggeber entpuppte sich als verdeckter Agent des Amts für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoffe. Er sagte Randy, dass er sich strafbar gemacht habe, und bedrängte ihn, als Informant zu arbeiten.

Randy weigerte sich, wurde festgenommen und auf Kaution bis zur Gerichtsverhandlung freigelassen. Sein Haus diente als Sicherheit. Doch Randy Weaver dachte nicht daran, vor Gericht zu erscheinen. Monatelang blieb er auf seinem Berg. Ein Haftbefehl wurde ausgestellt; die Marshalls wussten nicht, wie sie Zugriff auf den Eigenbrötler bekommen sollten.

Tödliche Schüsse

Sie gerieten unter Zugzwang, als eine Lokalzeitung über das monatelange Versteckspiel berichtete. Unter dem Decknamen „Operation Northern Exposure“ installierten die Marshalls heimlich Überwachungskameras und gaben ein psychologisches Gutachten in Auftrag. Beschrieben wurde Randy darin als militanter Ex-Soldat, der sein Haus vermine. Vicki sei bereit, ihre eigenen Kinder zu töten.

Sechs Deputy Marshalls wanderten am 21. August 1992 im Morgengrauen auf den Berg, als der Hund der Weavers ihre Witterung aufnahm. „Wir dachten, es sei ein Puma oder ein Bär“, erinnerte sich Sarah Weaver später in einem Interview. Ihr Vater, ihr Bruder Sam und der Familienfreund Kevin Harris folgten dem Hund, wenig später fielen Schüsse. An einer Weggabelung waren Sam und Kevin Harris auf die Marshalls gestoßen. Einer erschoss den Hund, Sam eröffnete das Feuer auf die Marshalls, die schossen zurück. Als Randy an die Weggabelung stieß, waren sein 13-jähriger Sohn und ein Polizist tot.

Marshall Dave Hunt hechtete den Berg hinab zum nächstgelegenen Telefon und rief atemlos: „Ich habe einen toten Officer, zwei sitzen fest. Ich brauche schnell Hilfe. Wir hatten einen Vorfall mit Randall Weaver. Ich will die State Police. Ich will alle Hilfe hier, die ich kriegen kann!“

Während Randy und Vicki Weaver ihren toten Sohn bargen und im Schuppen neben ihrer Hütte aufbahrten, sperrten Polizisten den Berg ab. Militärjeeps und ein Panzer fuhren hinauf, das FBI wurde eingeschaltet, Scharfschützen bezogen Position und bekamen besondere Anweisungen: „Wenn einer der Männer mit einer Waffe auftaucht, darf und muss tödliche Gewalt angewendet werden.“

Kontaktversuch per Roboter

Als Randy und Kevin Harris am nächsten Morgen die Hütte verließen, um sich im Schuppen vom aufgebahrten Sam zu verabschieden, fielen erneut Schüsse. Randy wurde getroffen. Vicki erschien mit Baby Elisheba auf dem Arm in der Eingangstür der Hütte. Als die Männer an ihr vorbei in die Hütte liefen, ein weiterer Schuss: Sarah, die direkt neben ihrer Mutter stand, fühlte, wie etwas ihr Gesicht traf, und sah ihre Mutter leblos zu Boden fallen. Die Kugel hatte Vickis Kopf durchschlagen und war durch Kevin Harris‘ Arm in seine Seite eingedrungen. Randy griff panisch das Baby und zog seine tote Frau in die Hütte. „Es fühlte sich an, als mache man Jagd auf uns“, so Sarah Weaver.

Unten am Berg hatten sich Reporter versammelt. Der FBI-Verantwortliche Gene Glenn erklärte ihnen, warum man die Hütte nicht einfach stürme: „Da sind Jugendliche im Haus, das ist ein kritischer Faktor. Für uns hat ein menschliches Leben einen hohen Wert.“ Die Behörden wussten noch nichts von Sam und Vicki.

Wenig später walzte eine Planierraupe über das Grundstück der Weavers: Per Megafon hatte man angekündigt, man zerstöre seinen Besitz, wenn er nicht aufgebe. Ein FBI-Beamter fand im Schuppen Sams Leiche. Die Nachricht von seinem Tod trieb unten am Berg die Nachbarn auf die Barrikaden, Anhänger der Aryan Nations mischten sich unter die Protestler. Anwohner beschimpften die Einsatzkräfte als Baby-Killer. Eine Gruppe Neonazis versuchte erfolglos, Waffen auf den Berg zu schmuggeln.

Das FBI platzierte einen Roboter mit einem Telefon vor der Hütte, um Kontakt mit den Weavers aufzunehmen. Sie blieben stumm.

„Wie in einem Armeefilm“

Sechs Tage nach Beginn der Belagerung wandte sich der Vietnamveteran Bo Gritz an die Behörden. Wie Randy war er bei den Green Berets gewesen und für seine rechten Ansichten bekannt. Das FBI war vom Vorschlag einer Zusammenarbeit nicht begeistert, doch den Polizisten gingen die Optionen aus.

Am achten Tag der Belagerung wurde Gritz in einem Jeep auf den Berg gefahren und sprach mit Randy Weaver. Am Abend trat FBI-Mann Glenn vor die Mikrofone und erklärte mit sichtlichem Unbehagen: „Die drei Kinder sind bei guter Gesundheit. Kevin ist ok, aber er wurde verwundet. Randy ist bei guter Gesundheit, aber leider ist Vicki tot.“ Den Reportern entfuhr ein kollektiver Schrei des Entsetzens.

Die Straßensperre verwandelte sich in einen Hexenkessel. Protestler brüllten den schwer bewaffneten Marshalls ins Gesicht: „Wir ziehen in den Krieg!“

Am nächsten Morgen kehrte Gritz auf den Berg zurück und überredete Randy, den schwer verwundeten Kevin Harris in ein Krankenhaus bringen zu lassen. Gemeinsam hoben sie Vicki in einen Leichensack. Am Tag danach konnte Gritz ihn zur Aufgabe bewegen. „Es wirkte wie eine Szene aus einem Armeefilm“, erinnert sich Sarah Weaver an ihren Eindruck vom Militärcamp. 400 Agenten waren im Basislager stationiert – „und all das für uns?!“

1993 standen Weaver und Harris wegen des toten Marshalls vor Gericht. Anwalt Gerry Spence argumentierte mit Selbstverteidigung, beide wurden freigesprochen. 1995 verklagte Weaver die Regierung wegen des Todes von Samuel und Vicki. Die Familie erhielt in einem außergerichtlichen Vergleich 3,1 Millionen Dollar Schmerzensgeld. Der Scharfschütze, der Vicki Weaver tötete, wurde nie angeklagt.